03.01.2013 Aufrufe

Seite - RWTH Aachen University

Seite - RWTH Aachen University

Seite - RWTH Aachen University

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

195<br />

Widerspiegelung im Zeitgeist: Gotische Gebäude standen im Mittelpunkt des öffentlichen<br />

Interesses, es war plötzlich en vogue, im Schatten eines gotischen Klosters zu picknicken und<br />

alte Burgen zu besichtigen; mittelalterliche Ruinen wurden auf Spaziergängen als Orte der<br />

Kontemplation genutzt.<br />

Daneben entwickelte sich im Zuge der Kolonisation auch eine Vorliebe für Kunst aus dem<br />

Orient. Obwohl der Orientalismus nicht in direkter Verbindung mit der Gotik stand, bleibt<br />

doch festzuhalten, dass sich beide Stilrichtungen in der Romantik wiederfinden ließen. Die<br />

Affinität zum Verfall und damit zum Morbiden, zum Fremden und Exotischen wird zum<br />

Ausgangspunkt für die gesamte Kunst des 18. Jahrhunderts: „The growing appreciation [...]<br />

expressed itself in several ways - in archaeological research, in the revival of medieval<br />

architecture, and in the use of Gothic setting in literature.“ 554<br />

Gothic war nunmehr nicht nur ein architektonischer Begriff. Gothic wurde zum<br />

Sammelbegriff für alles, was gleichzeitig als schrecklich, furchteinflößend, beeindruckend,<br />

numinos und schön empfunden wurde und somit - wie Burke 555 es bezeichnete - einen<br />

„delightful horror“ beim Betrachter hervorruft. Burke verfasste eine theoretische Abhandlung<br />

über das ‘Schaurig-Schöne’, also über das simultane Verspüren von grundsätzlich<br />

kontroversen Emotionen wie Schrecken und Lust.<br />

Das Schöne gewährt eine positive Lust. Aber es gibt eine andere Art der Lust, und diese ist an etwas gebunden,<br />

das stärker ist als die Befriedigung: an den Schmerz und das Nahen des Todes. [...] Diese ganz und gar geistige<br />

Leidenschaft heißt in Burkes Lexikon: Schrecken. Und dieser Schrecken ist an Beraubungen gebunden:<br />

Beraubung des Lichts: Schrecken der Finsternis; Beraubung des Nächsten: Schrecken der Einsamkeit; Beraubung<br />

der Sprache: Schrecken des Schweigens; Beraubung der Gegenstände: Schrecken der Leere; Beraubung des<br />

Lebens: Schrecken des Todes. 556<br />

Literarisch manifestiert sich diese Lust am Schrecken in den Gothic Novels. Dabei wurden<br />

nunmehr neben Burgen, in denen es spukt, geheimnisvollen Abteien, unterirdischen Gängen<br />

und gewaltigen Kathedralen - also den ursprünglichen Gothic elements - auch Elemente<br />

eingesetzt, die die unheimliche Atmosphäre der Gebäude und der Natur unterstreichen sollten.<br />

Manfred, der Protoyp des Gothic villain, und Protagonist in Walpoles The Castle of Otranto,<br />

sieht sich den Kräften der Natur ausgesetzt, die mit Sturm und Blitzen auf seine Untaten<br />

reagiert. In den dunklen Verließen seiner Burg werden unheimliche Seufzer und<br />

553 „Wisteria Lodge“ (4/1), S. 7.<br />

554 Smith, Warren Hunting, Architecture in English Fiction. New Haven u.a. 1934, S. 24.<br />

555 Vgl. hierzu Edmund Burkes Theorie des „Erhabenen” im Traktat A Philosophical Enquiry into the Origin of<br />

Our Ideas of the Sublime and Beautiful.Repr. London 1958.<br />

556 Lyotard, Jean-François: „Das Erhabene und die Avantgarde“. In: Jacques Le Rider und Gérard Raulet: (Hg.):<br />

Verabschiedung der (Post-) Moderne? Eine interdisziplinäre Debatte. Tübingen 1987, S. 251-274. Hier: S. 261.<br />

Wie zitiert in Anz, Literatur und Lust, S. 129.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!