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288<br />

Schon oben 702 wurde auf das hohe Sicherheitsbedürfnis der viktorianischen Gesellschaft<br />

hingewiesen. Viele Menschen fühlten sich durch die wachsende Anonymität, die vor allem<br />

auch in der Urbanisierung begründet lag, und durch die steigende Kriminalitätsrate bedroht<br />

und fürchteten einen Werteeinbruch und den Verlust ihrer Sicherheit. Diese Urangst der Zeit<br />

greift Conan Doyle thematisch auf: er gibt die Bühne frei für einen rettenden Superhelden, der<br />

jede unheilvolle Situation rational analysiert, ihr das Mysteriöse, Beängstigende nimmt und<br />

die bedrohten Personen aus jeder misslichen Lage rettet.<br />

Daneben verfolgt Conan Doyle bei der Konstruktion seiner Stories eine andere Intention:<br />

Anstatt die Deduktionskunst des meisterhaften Detektivs vorzuführen, stehen in den Sherlock-<br />

Holmes-Stories der Rätselcharakter per se und die spielerische Auseinandersetzung zwischen<br />

Detektiv und Leser im Mittelpunkt, was bei Poe völlig fehlt. Genau darin liegt wohl ein<br />

grundsätzlicher Unterschied zu den vorausgegangenen Kriminalgeschichten: Conan Doyle ist<br />

der erste Autor, der seinen Leser implizit zum Miträtseln auffordert, der Spuren so legt, dass<br />

der Leser glaubt, der Lösung des Rätsels nahezukommen, und ihn letztlich doch durch Tricks<br />

und Finten hereinlegt. „Ziel des Autors bleibt es, den Leser mit der Lösung zu überraschen,<br />

aber es muß die Möglichkeit bestanden haben, den Fall auf der Basis der im Text gebotenen<br />

Informationen zu analysieren.“ 703 * Dabei ist das Rätselspiel bei Conan Doyle längst nicht so<br />

durchfunktionalisiert, wie dies später bei seinen Nachfolgern sein wird; so ist der Täter in den<br />

Sherlock-Holmes-Stories häufig schon durch sein böses Aussehen und sein auffällig<br />

schlechtes Auftreten am Anfang der Erzählung als Urheber des Verbrechens gekennzeichnet.<br />

Dies ist aber dem Rätselcharakter der Story nicht unbedingt abträglich, denn auch in solchen<br />

Fällen versucht der Leser herauszufinden, wie die Tat sich zugetragen hat und verfolgt den<br />

Detektiv weiterhin bei seinem Ermittlungsweg.<br />

Um den Leser aber „aktiv“ an der Erzählung teilnehmen zu lassen, bedarf es einer ganz<br />

anderen Konstruktionsform als der, die Poe in seinen Erzählungen einsetzt. Es müssen falsche<br />

und richtige Spuren gelegt werden und die Aufklärung des Falls muss dem Leser einsichtig<br />

erscheinen, auch wenn er durch den Autor überlistet wurde. Steht bei Poe der Autor als<br />

Künstler im Mittelpunkt des Geschehens, geht es bei Conan Doyle um den spielerischen<br />

Wettstreit zwischen Leser und Autor/Detektiv um die Lösung des Rätsels, ungeachtet der<br />

Tatsache, dass der Leser gegenüber dem Detektiv immer im Nachteil ist. „Die<br />

702 Vgl. Kap. 3.2.1.2.<br />

703 Suerbaum, „Kreuzworträtsel“, S. 186.

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