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dabei aber trotzdem sehr variabel ist. Denn obwohl Conan Doyle sehr viele typisierte<br />

Elemente in den Sherlock-Holmes-Stories einsetzt, variiert er dennoch die Komposition der<br />

Elemente mit jeder Erzählung wieder neu: es gibt nur sehr selten eine Erzählung, in der der<br />

Variationsgrad der Elemente auf allen Ebenen (Figuren, Handlungselemente und<br />

Handlungsverlauf) niedrig ist. Es lässt sich ein kybernetisches Gleichgewicht durch die<br />

Variation auf allen drei Ebenen feststellen: Variiert Conan Doyle auf einer oder zwei Ebenen<br />

nur in geringem Maß, wird auf mindestens einer der anderen stärker variiert. Als Beispiel<br />

dafür lässt sich die Geschichte „Lion's Mane” (5/9) anführen, die auf der Ebene der<br />

Handlungselemente in vielen Punkten beinahe exakt dem der Erzählung „Speckled Band”<br />

entspricht: Ein junger Mann erleidet einen mysteriösen Tod und kann, bevor er stirbt, noch<br />

den kryptischen Hinweis geben, dass er durch „lion’s mane” verwundet worden sei.<br />

Grundsätzlich gleicht dieser Tod beinahe identisch dem, den Julia Stoner in „Speckled Band”<br />

erleidet. Andere Elemente werden dann aber stark variiert: Es gibt keinen bösen Vater, der das<br />

Vermögen des Verstorbenen einbehalten will, sondern durch eine heimliche Liebschaft<br />

erscheint vielmehr eine mögliche Eifersuchtstat des Nebenbuhlers wahrscheinlich. Holmes,<br />

der gealtert ist und an der Küste Suffolks lebt, wird Zeuge des mysteriösen Todes und<br />

beauftragt sich praktisch selbst mit der Aufklärung. Der Bericht erfolgt aus der Perspektive<br />

des Detektivs, da Watson nicht bei ihm ist, was letztlich auch Einfluss auf den<br />

Handlungsverlauf nimmt. Es lässt sich an diesem Beispiel deutlich erkennen, wie die<br />

Variation als Prinzip der Veränderung spielerisch von Conan Doyle immer wieder zur<br />

Konstruktion einer neuen Geschichte eingesetzt wird.<br />

Es lässt sich somit festhalten, dass die Sherlock-Holmes-Stories einzigartig sind, was nicht<br />

zuletzt in ihrem Schema und den möglichen Variationen innerhalb des Grundmodells<br />

begründet liegt, die Conan Doyle bis zum Äußersten ausreizt. So gelingt es ihm trotz der<br />

Limitierung, durch Variationen immer wieder neue Rätselfälle für das Spiel zwischen Autor<br />

und Leser zu schaffen. Und gerade darin liegt ja die Kunst der Detektivgeschichte begründet:<br />

„In its severest form, the mystery story is a pure analytical exercise, and, as such, may be a<br />

highly finished work of art, within its highly artificial limits.“ 714<br />

714 Sayers, Dorothy: „Introduction“ in: Great Short Stories of Detection, Mystery and Horror - First Series.<br />

London, 1928, S. 101.

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