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Ermittlung wird hier durch mehrere mysteriöse Zwischenfälle ersetzt (Holmes =<br />

homodiegetischer/autodiegetischer/expliziter Erzähler, Blickwinkel von Holmes).<br />

Die Erzählungen „Last Bow” (4/8) und „Mazarin Stone” (5/3) werden von einem<br />

außenstehenden Erzähler berichtet, der nicht in die Handlung involviert ist und selbst nicht im<br />

Erzählvorgang in Erscheinung tritt. Die Ereignisse werden von außen wahrgenommen und<br />

beschrieben; die Gedanken des Detektivs werden nicht dargestellt. Der Erzähler beobachtet<br />

vielmehr die Geschehnisse, als ob er ständig zugegen wäre, tritt dabei aber selbst nicht in<br />

Erscheinung (= heterodiegetischer/nicht involvierter/neutraler Erzähler, Blickwinkel nicht<br />

figurenbezogen).<br />

Es lässt sich feststellen, dass Conan Doyle jedoch letztlich immer wieder zur typischen<br />

Erzählweise mit dem Chronisten Dr. Watson zurückkehrt, weil es sich für das Schema der<br />

Sherlock-Holmes-Stories am besten eignete. Denn für den Leser ist es am interessantesten, die<br />

Tätigkeit des Detektivs durch den Blick seines Gehilfen wahrzunehmen, der zwar viele<br />

Ereignisse und Erkenntnisse filtert oder aber - im Gegensatz zum Detektiv - gar nicht<br />

wahrnimmt, dennoch aber eine Nähe zu den Geschehnissen schafft, die durch die anderen<br />

Perspektiven nicht zustande kommt. Sowohl die Perspektive des Detektivs Holmes selbst als<br />

auch die des nicht-involvierten/neutralen Erzählers schaffen eine Distanz zwischen den<br />

Ereignissen und dem Leser, weil im Falle beider Perspektiven die Details, die durch Watson<br />

gegeben werden und die die Atmosphäre der Stories ausmachen, nicht gegeben werden<br />

können, ohne dem Fall schon im frühen Verlauf der Erzählung die Spannung zu nehmen.<br />

Conan Doyle schildert die Ereignisse nie aus dem Blickwinkel einer anderen, agierenden<br />

Figur der Erzählung als der des Gehilfen oder des Detektivs selbst. Auch die Erzählungen, in<br />

denen die Ereignisse aus Holmes’ Blickwinkel geschildert werden, wobei er gleichzeitig auch<br />

der Erzähler der Story ist, wirken auf den Leser befremdlich, weil ihm Ereignisse und<br />

Erkenntnisse vorenthalten werden. Anders geht Agatha Christie vor, die stark mit<br />

verschiedenen Kombinationen von Erzählerinstanz und Fokalisierung experimentiert und der<br />

es immer gelingt, eine Distanz zwischen dem Leser und den Ereignissen zu umgehen: Der<br />

Leser erlebt die Ereignisse stets durch eine der agierenden Figuren, was die Erzählung immer<br />

lebendiger erscheinen lässt als im Falle einer nicht figurenbezogenen Fokalisierung. 658<br />

Eine Vorstufe zu den Sherlock-Holmes-Stories, in denen eine geänderte Erzählperspektive<br />

vorliegt, stellt schon die erste Extremvariante, die Erzählung „Dying Detective“ (4/5), dar, in<br />

der Watson zwar über den Fall berichtet, dabei aber zum bloßen Beobachter wird, der selbst<br />

658 Vgl. hierzu Kap. 3.5.

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