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276<br />

Fall durch die Augen des Opfers wahrgenommen. Besonders außergewöhnlich ist die<br />

Perspektive in „Tape-Measure Murder”, wo der erste Teil der Erzählung aus dem Blickwinkel<br />

der Mörderin gezeigt wird, die nach dem Mord an die Tür des Opfers klopft. Da sie jedoch<br />

nicht gleichzeitig die Erzählerin ist, bleibt ihre Täterschaft bis zum Schluss der Erzählung<br />

verborgen, wobei diese Perspektive auch dazu führt, dass die Mörderin dem Leser als nicht<br />

verdächtig erscheint, weil sie den Mord mit entdeckt. 670<br />

Es lässt sich festhalten, dass Agatha Christie sehr viel stärker als Conan Doyle mit<br />

verschiedenen Kombinationen von Erzählinstanz und Fokalisierung variiert.<br />

Es ist evident, dass sich die Kriminalgeschichten von Agatha Christie grundsätzlich von den<br />

Conan Doyle’schen Erzählungen unterscheiden. Bei heutigen Kriminalstories würde dies<br />

vielleicht keinen Anlass zur Verwunderung gegeben, die Christie-Stories liegen jedoch weder<br />

zeitlich noch bezüglich der Grundkonzeption - beide Formen gehören zur klassischen<br />

Detektivgeschichte - weit auseinander. Wie sich bei der Analyse in Anhang II gezeigt wurde,<br />

wären aber alle Christie-Stories, würde man sie mit den Kriterien der Sherlock-Holmes-<br />

Stories messen, Extremvarianten.<br />

Was sagt dieser Unterschied zwischen den frühen Schemata der Detektivliteratur aus?<br />

Suerbaum definiert Gattung als eine Gruppe von Texten mit gemeinsamen Merkmalen 671 und<br />

gleichen oder ähnlichen Konventionen 672 . Schon im Archetyp jeder Gattung werden diese<br />

Merkmale und Konventionen ausgeformt, die dann für die gesamte Gattung typisch<br />

werden. 673 Jeder Autor einer Gattung schafft darauf folgend ein Werk, das im Zusammenhang<br />

mit den anderen Texten der Gattung steht und bezieht sich somit auch auf die Regeln,<br />

Konventionen und Erwartungen des Genres. 674 Gattungen entwickeln sich aber durch jeden<br />

Autor auch weiter, und zwar dadurch, dass jeder Autor einerseits Regeln und Konventionen<br />

der Gattung einhält, andererseits jedoch auch gegen diese verstößt und somit das Schema<br />

erweitert. 675 Diese Variation der Muster sichert die Individualität des eigenen Textes. 676<br />

Gattungen befinden sich somit in einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung, der aus<br />

670<br />

Christies Experimentiertfreudigkeit kennt in Bezug auf Erzählinstanz und Fokalisierung keine Grenzen: Im<br />

Roman Three Act Tragedy (London 1935) wird die gesamte Handlung aus dem Blickwinkel des Mörders<br />

geschildert, der dort ein homodiegetischer/autodiegetischer/expliziter Erzähler ist, und dem Leser auch aus<br />

diesem Grund bis zur Aufklärung des Falls als Zeuge, nicht aber als Täter präsentiert wird.<br />

671<br />

Suerbaum, Ulrich: „Text, Gattung, Intertextualität”. In: Fabian, Anglistischer Grundkurs, S. 81-122. Hier: S.<br />

83.<br />

672<br />

Ibid., S. 101.<br />

673<br />

Vgl. hierzu Kap. 4.2, wo begründet wird, warum Conan Doyle als Begründer des Genres der<br />

Detektivgeschichte angesehen werden muss.<br />

674<br />

Suerbaum, „Text”, S. 101.<br />

675<br />

Hempfer, Klaus W.: Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973, S. 218.<br />

676 Suerbaum, „Text”, S. 82.

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