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193<br />

Ich verstehe im folgenden unter Thrill intensive, aber angenehme Empfindungen, auch solche körperlicher Art,<br />

die sich vor allem als Reaktion auf die Darstellung von Gewalt und Sex einstellen; bei derartigen Darstellungen<br />

wird in der Regel auch Spannung erzeugt; sie sind außerdem häufig mit Sentimentalität verbunden. Durch das<br />

Ziel, Wirkungen dieser Art hervorzubringen, unterscheidet sich der Thriller besonders deutlich vom<br />

Detektivroman, mit dem er im gängigen englischen und deutschen Sprachgebrauch fälschlicherweise oft<br />

gleichgesetzt wird. 547<br />

Späth erkennt deutliche Unterschiede zwischen der Spannung, die im Krimi und die im<br />

Thriller entwickelt wird: während die Spannung im Ersteren auf Grund seiner<br />

Abgeschlossenheit und Funktionalität sehr gelenkt stattfindet, ist die Welt des Thrillers offen<br />

und unberechenbar. Im Thriller soll somit nach Späth dread, eine „ungerichtete, unerklärbare<br />

Angst“ 548 erzeugt werden, die sich - im Gegensatz zum Krimi - frei und ungelenkt entwickeln<br />

kann.<br />

Somit kann man Spannungselemente in der klassischen Kriminalliteratur nicht als thrills<br />

bezeichnen, denn sie werden gezielt eingesetzt, um die Grundspannung aufrecht zu erhalten<br />

und die Handlung voranzutreiben, wodurch sie aus anderem Grund eingesetzt werden als die<br />

thrills im Thriller. Dennoch dienen auch die Spannungselemente im Krimi dazu, die<br />

Grundspannung des Lesers kurzfristig zu erhöhen.<br />

Was führt nun dazu, dass der Leser Spannung empfindet? Nach dem Semiotiker Koch 549<br />

liegen der menschlichen Natur drei Triebe zugrunde, die sein Überleben garantieren. Koch<br />

bezeichnet diese als Crimen, Fructus und Sexus. In den Bereich des Triebes Crimen fällt die<br />

erfolgreiche Behauptung des eigenen Lebens im Kampf mit Artgenossen oder Feinden, die<br />

sich in der Auseinandersetzung entweder in Angriff oder Flucht äußert. Der Trieb Fructus<br />

sichert bei Mensch und Tier das Überleben durch Nahrungsaufnahme, aber auch das<br />

Weiterleben der eigenen Art in der Aufzucht der Nachkommenschaft. Der Sexus erfüllt die<br />

Funktion, sich mit möglichst attraktiven Partnern zur Optimierung der Art fortzupflanzen.<br />

Jeder dieser drei Triebbereiche liefert der Literatur als einem Medium der fiktiven und spielerischen<br />

Problembewältigung beliebte und spannungsträchtige Motive: Verfolgung und Flucht, Gewalt, Kampf und<br />

Gefahr, Blutrache, Mord und das große Duell zwischen unversöhnlichen Feinden (CRIMEN); die Reise ins<br />

Schlaraffenland, die Kindesentführung und der Generationskonflikt (FRUCTUS), die Freierprobe, die<br />

Liebesromanze, die Nebenbuhlerschaft, der Inzest und andere Formen verbotener Liebe (SEXUS). 550<br />

547 Späth, Eberhard: „’J’aime les sensations fortes.’ Zu den Merkmalen des Thrill in Ian Flemings From Russia<br />

with Love.“ In : Petzold, Dieter/ Späth, Eberhard (Hgg.): Unterhaltung. Sozial-und literaturwissenschaftliche<br />

Beiträge zu ihren Formen und Funktionen. Erlangen 1994, S. 155-178. Hier: S. 155.<br />

548 Vgl. ibid., S. 163.<br />

549 Vgl. hierzu Koch, Walter A.: The Biology of Literature. Bochum 1993, S. 45 f., 120 f., 154-56. Vgl. ebenso<br />

Wenzel, „Spannung“, S. 25-26.<br />

550 Vgl. Wenzel, „Spannung“, S. 25.

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