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189<br />

Eine Meisterin der misdirection ist fraglos Agatha Christie, der es gelingt, den Leser durch<br />

ihre brilliant konstruierte Form von Desinformation und Ablenkung von den wichtigen Details<br />

stets in die Irre zu führen. Bei Conan Doyle ist die Technik der misdirection weniger<br />

ausgefeilt. Die Welt der Sherlock-Holmes-Erzählungen ist in dieser Beziehung relativ simpel:<br />

Kaum jemals stellt sich eine Figur, die als gut und freundlich eingeführt worden ist, am Ende<br />

als Bösewicht heraus. Conan Doyles Stärke liegt vielmehr in der raffinierten Weise begründet,<br />

mit der er die clues und red herrings einsetzt.<br />

Als Beispiel für die misdirection soll die Rätselkonstruktion in der Erzählung „Man with the<br />

Twisted Lip“ (1/6) genauer dargestellt werden: Der junge Journalist St. Clair verschwindet<br />

eines Tages spurlos; in seiner Nähe wird der als übler Schuft bekannte Kriminelle Lascar<br />

beobachtet, der sich zudem außerordentlich verdächtig verhält und angibt, St. Clair niemals<br />

gesehen zu haben. Lascar wird durch die von anderen Figuren gelieferte Beschreibung zu<br />

einer fragwürdigen Figur. Der Leser erkennt: Lascar muss etwas mit dem Fall zu tun haben.<br />

Unterstützt wird diese Vermutung dadurch, dass auch Holmes Lascar für einen Schuft hält.<br />

Der Leser glaubt dem Detektiv - der ja grundsätzlich immer die richtigen Vermutungen<br />

anstellt - und verdächtigt Lascar. Erst später stellt sich heraus, dass Lascar St. Clair nicht<br />

getötet hat und mit der Sache nichts zu tun hat.<br />

Fragwürdigkeit wird in den Sherlock-Holmes-Stories vor allem dadurch hervorgerufen, dass<br />

bestimmte Personen in der Erzählung besonders unfreundlich und unsympathisch wirken,<br />

oder aber von anderen Figuren als merkwürdig und unheimlich beschreiben werden. Dadurch<br />

wird der Leser von anderen Ereignissen und Figuren abgelenkt, die den tatsächlichen<br />

Sachverhalt erhellen würden. So beschreibt der sitzen gelassene Bräutigam in der Erzählung<br />

„Noble Bachelor“ (1/10) seine ehemalige Geliebte Flora Millar mit Attributen, die sie<br />

durchaus fragwürdig erscheinen lassen: „Flora was a dear little thing, but exceedingly hot-<br />

headed [...] She wrote me dreadful letters when she heard that I was to be married, and to tell<br />

the truth the reason why I had the marriage celebrated so quietly was that I feared lest there<br />

might be a scandal in the church.“ 537 Ähnlich wird auch die aus Südamerika stammende Mrs.<br />

Ferguson beschrieben; durch stete Hinweise auf ihr Temperament und ihre Heißblütigkeit<br />

erscheint sie ebenfalls fragwürdig. Andere Figuren, die so oder ähnlich von anderen Figuren<br />

in schlechtes Licht gerückt werden, finden sich noch in zehn weiteren Erzählungen. 538<br />

537 „Noble Bachelor“ (1/10), S. 235.<br />

538 In den Erzählungen „Beryl Coronet“ (1/11) und „Copper Beeches“ (1/12) wirken die Angestellten des Hauses<br />

durch Beschreibung ihre Verhaltens durchaus fragwürdig. Auch die schottische Bedienstete in „Yellow Face“<br />

(2/2) erscheint durch die Tatsache, dass sie keine Angaben macht und sich Munro gegenüber sehr rüpelhaft<br />

benimmt, dubios. Der Vater des Verschwundenen Godfrey Emsworth in „Blanched Soldier“ (5/2) erscheint dem

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