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eine neue Zielgruppe als Publikum anspricht. 689 Daneben spielen aber auch selektive Aspekte<br />

eine Rolle beim Entstehen einer neuen Gattung. 690 So bezieht die neue Gattung zwar<br />

Einflüsse aus mindestens einer anderen, älteren Literaturform, bildet diese aber in anderer<br />

Weise aus. Dadurch besitzt die neue Literaturform eigene Qualitäten, die nach Voßkamp für<br />

sie konstitutiv werden. 691 So weist sie sowohl Parallelen als auch Unterschiede zu anderen<br />

literarischen Gattungen auf. 692<br />

Ähnlich geht auch Hempfer in Bezug auf die Entwicklung einer neuen Gattung von einer<br />

„Kombination und Veränderung einer Vielzahl von Organisationsprinzipien aus<br />

verschiedenen bereits existierenden Gattungen“ 693 aus.<br />

Kesting verweist zu Recht darauf, dass Poe vor allem deshalb nicht als Erfinder der<br />

Detektivgeschichte angesehen werden kann, weil sich viele der Grundelemente auch schon<br />

vor Poes tales of ratiocination in der Literatur finden lassen; so geht Kesting von Pitavals<br />

Sammlung von berühmten Kriminalfällen, den Causes célebrès et interessantes, als<br />

eigentlichem Ursprung der Kriminalliteratur aus, weil diese Sammlung viele Dichter und<br />

Schriftsteller, darunter Schiller und E.T.A Hoffmann, zu Erzählungen, in denen ein<br />

Verbrechen und seine Aufklärung im Mittelpunkt standen, inspirierten. 694 Schon in diesen<br />

frühen Werken finden sich Kestings Meinung nach die später häufig Poe zugeschriebenen<br />

„Merkmale“ der Kriminalliteratur, wie das ungewöhnliche, mysteriöse Verbrechen und der<br />

Detektiv, der sich auf die Suche nach dem Täter begibt.<br />

Poes tales of ratiocination stehen grundsätzlich in der Tradition seiner Kurzgeschichten, denn<br />

auch hier richtet sich die gesamte Handlung auf den Überraschungseffekt - in Poes<br />

Terminologie als single effect bezeichnet - am Ende der Erzählung aus. Anders als in den<br />

anderen Kurzgeschichten lässt sich aber in den tales of ratiocination ein neues Prinzip finden,<br />

nämlich das der Dichotomie der Handlung, wobei die Metahandlung der Aufklärung die<br />

Geschichte des Verbrechens bis zum Ende überlagert.<br />

688 Hempfer, Gattungstheorie, S. 218.<br />

689 Voßkamp geht davon aus, dass durch Morus’ Utopia vor allem die neue weltliche Intelligenz als Publikum<br />

angesprochen wurde, die vorher durch die „Angebote“ der Literatur vernachlässigt worden war. Morus‘s<br />

Entschluss, sein Werk in Latein zu verfassen, lässt nach Voßkamp darauf schließen, dass der Autor hohe<br />

Bildungserwartungen an das Publikum stellte.<br />

690 Voßkamp zeigt an dieser Stelle auf, wie Morus die literarischen Formen der Satire und des Fürstenspiegels,<br />

die bei seinem Zeitgenossen Erasmus getrennt von einander in diversen Werken zu finden sind, in der Utopia<br />

zusammenführt.<br />

691 Vgl. Voßkamp, Utopia, S. 186-187.<br />

692 Voßkamp verweist hier auf die satirische Tradition, in der Morus’ Utopia steht. Dabei bildet der Archetypus<br />

aus den satirischen Elementen einen neuen Aspekt heraus, nämlich den der konstruktiven Gegenwelt, die im<br />

folgenden den Utopien als Gattung zu eigen sein wird.<br />

693 Vgl. hierzu Hempfer, Gattungstheorie, S. 218.<br />

694 Vgl. hierzu Kesting, „Auguste Dupin“, S. 53.

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