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6. Altenbericht

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Unter solchen Bedingungen öffnet sich bis ins hohe Alter ein breiter Horizont prinzipiell<br />

einnehmbarer Lebensperspektiven, theoretisch ergreifbarer Handlungsmöglichkeiten und<br />

denkbarer Lebensmodelle. Diese prinzipielle Vielfalt der Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung<br />

wurde von der Soziologie auf den zeitdiagnostischen Begriff der „Multioptionsgesellschaft“<br />

gebracht (Gross 1994). Das Denkmodell der Multioptionsgesellschaft<br />

kontrastiert allerdings mit der nicht zu übersehenden Tatsache, dass der faktische Spielraum<br />

zur individuellen Gestaltung des Lebens durch biografische und sozialstrukturelle<br />

Bedingungen für die meisten Menschen mehr oder weniger eingeschränkt ist. Es entsteht<br />

also eine Spannung zwischen der normativen Erwartung, entsprechend der Pluralität von<br />

Altersbildern und der theoretischen Multioptionalität der modernen Gesellschaft das eigene<br />

Leben im Alter zu gestalten (Abschnitt a) und der biografisch und sozialstrukturell bedingten<br />

faktischen Verengung des individuellen Handlungsspielraums im Alter (Abschnitt<br />

b). Irritationen entstehen durch den Widerspruch zwischen der Erwartung auf der einen<br />

Seite, die Optionenvielfalt zu nutzen, und restringierten Gestaltungspotenzialen auf der<br />

anderen Seite. Diese Verunsicherungen lösen ein großes Bedürfnis nach Rat und Trost<br />

aus und bereiten so den Boden für Alters-Ratgeber (Abschnitt c).<br />

a) Altern in der Multioptionsgesellschaft<br />

In dem Maße, wie sich die Gesellschaft differenziert, diversifizieren sich Altersbilder und<br />

gilt die gerontologische Formel vom „differenziellen Alter(n)“. Das heißt, statt an überkommene<br />

und beschränkte Altersrollen gebunden zu sein, sieht sich jedes Individuum zunehmend<br />

in die Lage versetzt, unter einer Vielfalt von Altersbildern wählen zu können,<br />

aber auch wählen zu müssen. Statt in einem kollektiv verbindlichen altersspezifischen<br />

Formenvorrat aufzugehen, können – zumindest im Prinzip – auch eigene Entwürfe versucht<br />

und gelebt werden. Heute üben immer weniger Menschen zeitlebens ein und denselben<br />

Beruf aus oder bleiben an einem Ort fest verwurzelt. Familien- und andere Gemeinschaftsverhältnisse<br />

gestalten sich zunehmend multilokal und „patchworkartig“. Kennzeichnend<br />

für die „fortgeschrittene Moderne“ ist die „Individualisierung von Lebenslagen<br />

und -verläufen“, und das heißt auch: neu zu altern, in „Patchworkform“ (Beck 1986; Gross<br />

1985; Hitzler und Honer 1994). Individuen haben dem Modell der Multioptionsgesellschaft<br />

zufolge bis ins hohe Alter eine Vielzahl von Optionen, ihr Leben zu gestalten, etwa räumliche,<br />

religiöse, weltanschauliche Bindungen einzugehen oder aufzugeben, sich bestimmten<br />

Gruppen und ihren Altersbildern anzuschließen. Sie können folglich auch Altersbilder<br />

für sich und andere gelten lassen oder nicht, beziehungsweise dies nur zeitweilig oder<br />

örtlich begrenzt oder nur unter selbst definierten Bedingungen tun. Sie können und müssen<br />

wählen, aushandeln und koordinieren, welche Bilder, Formen, Stile, Rollen des Alterns<br />

sie für sich akzeptieren wollen und welche nicht. Sie können selbst Bilder entwerfen.<br />

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