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6. Altenbericht

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von der Arbeit zu entlasten suchte, jedoch mit Blick auf die lebensweltlichen Realitäten ein<br />

negatives und sehr düsteres Altersbild ausstrahlte und der das bereits vorhandene Negativbild<br />

eher noch verstärkte. Der später aufgekommene „Ruhestandsdiskurs“ dagegen<br />

betraf mit der Vorstellung eines allmählichen Rückzugs von beruflichen Verpflichtungen<br />

und der gleichzeitigen Hinwendung zu Muße-Aktivitäten im Sinne Ciceros nur die oberen<br />

Schichten. Mit Bezug auf Autoren der Antike verbreitete sich in der englischen Oberschicht<br />

seit dem 17. Jahrhundert der Begriff des „retirement“, während der Ruhestand in<br />

der Praxis vermehrt seit Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst von Staats- und Betriebsbeamten<br />

sowie erfolgreichen Landwirten in die Tat umgesetzt wurde (Ehmer 1990 und 2009).<br />

Er verstand sich als Ausweis eines erfolgreichen Lebens und signalisierte neben einem<br />

steigenden Lebensstandard und einem Mehr an Lebensjahren den Beginn einer neuen,<br />

eigenständigen Kultur des Alters (Conrad 1994). Er vermittelte ein positives Altersbild und<br />

verstärkte das mit Macht und Reichtum verbundene, eher positive Altersbild noch weiter.<br />

Neu entwickelte Organisationsformen zur Finanzierung dieser arbeitsfreien Lebensphase<br />

wie die Lebensversicherungen sind auch als Reaktion auf diesen gesellschaftlichen und<br />

kulturellen Wandel zu sehen.<br />

Bereits das Biedermeier hatte diese neue Form des Alterns in Bilder gefasst, über die<br />

neuen Massenblätter und Groschenromane für ihre Verbreitung gesorgt und zur Nachahmung<br />

aufgerufen. Der Ruhestand nahm die alten Menschen aus dem geschäftiger werdenden<br />

„realen“ Leben heraus und schirmte sie gewissermaßen in einer Gartenlaube von<br />

der Hektik der sich industrialisierenden Welt ab. Das Bild vom Wissen vermittelnden Patriarchen<br />

veränderte sich in das von Märchen erzählenden Großeltern, blieb aber weiterhin<br />

positiv. Aussehen und Merkmale des Alters wurden neu kodiert mittels Tätigkeiten,<br />

Körperhaltung, Gesichtszügen und – was schon immer galt – durch Kleidung (Borscheid<br />

1989). Macht und Reichtum als Grundlage des Positivbildes rückten gegenüber dem<br />

Merkmal der Güte etwas in den Hintergrund.<br />

Gleichwohl wurden die Grundzüge der Altersbilder auch an der Wende zum 20. Jahrhundert<br />

weiterhin nur von einigen wenigen Faktoren bestimmt: von Macht, Besitz und moralischen<br />

Normen beziehungsweise Ohnmacht, Armut und Unmoral. Entsprechend reduziert<br />

blieb die Zahl der Bilder. Erst das 20. Jahrhundert hat mit seiner wirtschaftlichen, wissenschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Dynamik sowie seinen neuen organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

wie Renteneintrittsalter und medialer Präsenz zu einer größeren Pluralität<br />

geführt. Es waren neben dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt vor allem die<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche der Jahrhundertwende und noch mehr<br />

der 1920er Jahre, welche die Altersbilder stark veränderten, ihre Zahl vermehrten und für<br />

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