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6. Altenbericht

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sprechend unvorteilhaften Altersbild ihren Niederschlag fanden. Ebenso standen die ein<br />

Leben lang ledig gebliebenen wohlhabenden Frauen wie auch Männer Modell für ein negatives<br />

Altersbild, da sie ihr Vermögen entgegen den Gemeinschaftsregeln lediglich für<br />

sich selbst nutzten und nicht durch Gründung einer Familie auch anderen zukommen ließen.<br />

Der große Einfluss normativer Faktoren auf das Altersbild wird hier erneut sichtbar<br />

(Borscheid 1994).<br />

Auch in den vergangenen Jahrhunderten war Alter stets mehr als eine individuelle Beschaffenheit<br />

und kalendarische Grenzüberschreitung. Altern war immer auch ein soziales<br />

Konstrukt, indem sich die alten Menschen durch spezifische Tätigkeiten, rechtlich relevante<br />

Entscheidungen, Benehmen oder Kleidung zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt als<br />

Alte definierten. Sie visualisierten ihr Alter und gaben damit ihrer Umwelt zu verstehen,<br />

dass sie etwa mit dem Rückzug auf das Altenteil an verschiedenen Praktiken der übrigen<br />

Erwachsenen nicht mehr teilhaben wollten oder als Witwer oder Witwe keine neue Ehe<br />

einzugehen gedachten. Während in fast allen Gesellschaftsschichten eine derartige Visualisierung<br />

des Alters als gesellschaftliche Norm galt, finden wir in den obersten Gesellschaftsschichten,<br />

vor allem an den Höfen, vereinzelt auch umgekehrte Inszenierungen,<br />

durch die Ältere mit Hilfe einer Maskerade ihr wahres Alter verstecken wollten. Adolph<br />

Freiherr von Knigge verurteilt in der dritten Auflage seines Benimmbuches „Über den Umgang<br />

mit Menschen“ aus dem Jahre 1790 den Greis, der „in Gesellschaft den Stutzer oder<br />

den lustigen Studenten spielt“, ebenso „wenn die Dame […] sich wie ein junges Mädchen<br />

kleidet, herausputzt, kokettiert, die alten Gliedmaßen beim englischen Tanze durcheinander<br />

wirft oder gar andern Generationen Eroberungen streitig machen will“ (Knigge 1977:<br />

140). Diese blieben jedoch in einer von rigiden Normen geprägten Gesellschaft höchst<br />

seltene Ausnahmen. Zusätzliche und ganz neue Kulturtechniken und Praktiken zur Darstellung<br />

und Inszenierung des Alter(n)s setzten sich erst im 20. Jahrhundert durch.<br />

Schon seit dem Spätmittelalter, verstärkt aber seit dem 18. Jahrhundert, hatten weltliche<br />

und geistliche Obrigkeit in Verbindung mit dem Bildungsbürgertum versucht, die mehrheitlich<br />

negativen Altersbilder ins Positive zu wenden. Sie hatten erkannt, wie nachteilig sich<br />

negative Altersbilder im täglichen Leben für die Älteren auswirken konnten. Sie wollten<br />

damit gerade die hilfsbedürftigen alten Menschen im tagtäglichen Miteinander und Konkurrenzkampf<br />

mit der jüngeren Generation schützen. Als Grundlage dieser Bestrebungen<br />

diente die natürliche Liebe von Kindern gegenüber ihren Eltern, das vierte Gebot „Du<br />

sollst Vater und Mutter ehren“ sowie die Strafandrohungen der Obrigkeit bei Zuwiderhandlung.<br />

Angefangen bei den mittelalterlichen Bettelordnungen über die frühneuzeitliche Armenpolitik<br />

bis hin zu den staatlichen Altersrenten des späten 19. Jahrhunderts entwickelte<br />

sich ein „Versorgungsdiskurs“, der die alten Menschen aus den unteren Sozialschichten<br />

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