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6. Altenbericht

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eine wirklich vollkommene Rationalisierung zu erreichen und nicht nur eine technische.<br />

Sie bediente sich zweier Methoden und Verfahren, der Körperkonstitutionslehre und der<br />

Psychotechnik, und zeichnete von Anfang an ganz im Geiste der Zeit ein abstoßendes<br />

Altersbild (Penkert 1998). Das hässliche Gesicht des Alters ist in der Geschichte oftmals<br />

beschrieben und gezeichnet worden. Doch erst die Psychotechnik erhob es in dieser Zeit,<br />

als die Verherrlichung der Jugend begann, zu einer angeblich wissenschaftlich begründeten<br />

Tatsache, festgemacht an äußeren Merkmalen und Erscheinungen des körperlichen<br />

Verfalls. Sie ließ das Alter zu einer negativen Größe mutieren, indem sie ihm das neue<br />

Idealbild des athletischen, jugendfrischen Körpers und dessen physische Leistungsfähigkeit<br />

als Referenzgröße gegenüberstellte. Im Vergleich dazu erschien das Körperbild der<br />

Älteren als unzeitgemäß, unbrauchbar, leistungsschwach, träge und morsch.<br />

Während die Psychotechnik glaubte, den Alterseinfluss auf die Leistungsfähigkeit von<br />

Handarbeitern und Handarbeiterinnen präzise bestimmen zu können, tat sie sich bei der<br />

Bewertung so genannter geistiger Arbeit schwer. Gleichwohl trug sie ganz entscheidend<br />

zur beruflichen Benachteiligung alternder Erwerbstätiger bei. Bald zählte es zum angeblich<br />

wissenschaftlich abgesicherten Allgemeinwissen, dass die Leistungen der über 40-<br />

Jährigen extrem rückläufig seien (Penkert 1998). Bei den Massenentlassungen während<br />

der zweiten Rationalisierungsphase gegen Ende der 1920er Jahre und erst recht während<br />

der Weltwirtschaftskrise kam dieses Allgemeinwissen erstmals zur Anwendung, ohne<br />

Rücksicht auf individuelles Leistungsvermögen und individuelle Leistungsbereitschaft.<br />

Seit dem Jahre 1924 war die Frage nach der optimalen Altersstruktur eines leistungsstarken<br />

Unternehmens Teil der damaligen Rationalisierungsdebatte. Zwei Richtungen bildeten<br />

sich heraus. Während mit der so genannten sozialen Rationalisierung eine industriegerechte<br />

Optimierung der psychischen, physischen und sozialen Verfassung erzielt werden<br />

sollte, die im Idealfall auch zur Förderung und zum Schutz der Älteren führen konnte,<br />

begünstigten die Anwendung des reinen Leistungsprinzips und die Arbeiterauslese mittels<br />

der neu eingeführten Psychotechnik – wie beschrieben – eindeutig die jüngeren Arbeitnehmer<br />

und Arbeitnehmerinnen. Im Jahre 1929, noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise,<br />

befragte das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit 263 Industrieunternehmen,<br />

darunter alle Großunternehmen, zu ihrer Einstellungs- und Entlassungspolitik sowie zur<br />

Anwendung psychotechnischer Verfahren gegenüber der älteren Arbeiterschaft (Müller<br />

1930; Reichskuratorium 1931). Danach hatte sich als Folge der vorangegangenen Rationalisierungsmaßnahmen<br />

die Arbeitsmarktlage der älteren Arbeiter und Arbeiterinnen in<br />

einigen wenigen Branchen – der Schuh-, Gummi- und Margarineindustrie – bereits dramatisch<br />

verschlechtert. In den übrigen Industriezweigen hatte es zwar keine Massenentlassung<br />

älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gegeben, aber in der Eisen- und<br />

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