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6. Altenbericht

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(Penkert 1998). Zur Mitte des Jahrzehnts begann erst mit dem 50. Lebensjahr jener Abstiegsprozess,<br />

den der Verein für Socialpolitik und Alfred Weber vor dem Ersten Weltkrieg<br />

in ihren Untersuchungen über „Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft“ als kritischen<br />

Wendepunkt im Leben des modernen Industriearbeiters ausgemacht und noch auf das<br />

40. Lebensjahr datiert hatten.<br />

Diese berufliche Besserstellung der alternden Arbeiter und Arbeiterinnen endete jedoch<br />

bereits nach wenigen Jahren, wobei das neue Körperbild und die mit ihm verbundenen<br />

Vorurteile über das altersabhängige Leistungsvermögen eine entscheidende Rolle spielten.<br />

Die Arbeitgeber wurden bei ihren Entscheidungen, in Rationalisierungs- und Krisenzeiten<br />

fortan zuerst die älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu entlassen, ganz<br />

entscheidend von den Forschungsergebnissen der Arbeitswissenschaftler beeinflusst.<br />

Unter diesen hatte die allgemeine Wende zur Jugend zu einer gewissen Voreingenommenheit<br />

geführt, die sich in ihren Forschungsansätzen, Methoden und Resultaten niederschlug.<br />

Bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen<br />

tat sich vor allem die praktische Psychologie hervor, die sich während der schon<br />

vor dem Ersten Weltkrieg einsetzenden und nach der Währungsreform von 1923/24 mit<br />

Macht betriebenen Rationalisierung zu einem Schiedsrichter und Meinungsmacher aufzuschwingen<br />

wusste.<br />

Im Jahre 1922 unterhielt die deutsche Industrie bereits 170 psychotechnische Laboratorien,<br />

denen 20 Universitäts- und Privatinstitute zuarbeiteten. Alle wollten über Eignungsauslese<br />

und Berufsanpassung die Arbeiter und Arbeiterinnen besser als bisher für die<br />

Wirtschaft befähigen. Sie bemühten sich, für die jeweiligen Arbeitsplätze die am besten<br />

geeigneten und zuverlässigsten Arbeiter und Arbeiterinnen ausfindig zu machen. Die<br />

neue „Menschökonomie“ wollte nach eigenem Bekunden entscheidend helfen bei der<br />

„Fertigmachung“ des Menschen als gut geöltes und reibungslos funktionierendes Rädchen<br />

im Getriebe des rationalisierten Betriebs. Dazu musste die „Arbeitsmaschine<br />

Mensch“ ihren Körper und Geist einer Vielzahl von Kontrollen unterwerfen, ehe sie den<br />

Arbeitsplatz betreten durfte.<br />

Die klinische Psychologie hatte bereits zuvor von der Medizin den Begriff des „Rückbildungsalters“<br />

übernommen und diese abstrakte naturwissenschaftliche Definition durch<br />

eine Vielzahl an geistig-psychischen Indizien ergänzt, die ausnahmslos ein defizitäres<br />

Altersbild zeichneten und bereits einem 40-jährigen Menschen den Verlust an geistiger<br />

Regsamkeit, Leistungsfähigkeit, Pflichtbewusstsein und Autorität attestierten bei gleichzeitiger<br />

Zunahme von Unzufriedenheit, Verbitterung und Intoleranz. Die mit den Arbeitswissenschaften<br />

aufgekommene Psychotechnik gab nun während der Rationalisierungsphase<br />

der Weimarer Zeit vor, diesen altersbedingten Verfall „exakt“ nachweisen zu können, um<br />

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