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6. Altenbericht

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Verweigerung jeglicher Anerkennung und zum radikalen Ausschluss des hohen Alters.<br />

Alte Menschen stehen, und zwar sowohl in vergangenen als auch in gegenwärtigen Kulturen,<br />

nach Positionen und Rollen, Rechten und Pflichten, Versorgung, Identität und Prestige<br />

höchst unterschiedlich da.<br />

Indes gelten nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb ein und derselben<br />

Kultur unterschiedliche Altersbilder, spätestens dann nämlich, wenn sich Binnengliederungen<br />

entwickelt haben, etwa wenn sich Gruppen mit besonderen Aufgaben und Vorrechten<br />

gebildet haben. Grundlegend ist hier die geschlechtsspezifische Differenzierung<br />

von Altersbildern. Sie ist ein kultureller Code, der schon in einfachen Kulturen gilt. Da<br />

Frauen andere Aufgaben und Arbeiten bewältigen als Männer, altern sie auch anders als<br />

diese (de Beauvoir 1972). Sobald sich darüber hinaus soziale Hierarchien herausbilden,<br />

stellt sich das Alter in privilegierten Gruppen beziehungsweise Eliten anders, nämlich positiver<br />

dar als in schwächeren, zumal dann, wenn diese über weniger Mittel zum Leben<br />

verfügen. Weitere Aufgliederungen (Stände, Berufsgruppen) ziehen entsprechend komplexe<br />

Anpassungen des Altersbildes an die jeweiligen Gruppenerfordernisse nach sich<br />

(Borscheid 1989; Minois 1989). Folglich kann für keine Kultur von einem einheitlichen<br />

Altersbild gesprochen werden. Vielmehr entwickelt sich dieses Bild so vielfältig, wie die<br />

Struktur einer Kultur sich ausdifferenziert.<br />

Außerdem gibt es erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Kriterien, nach denen Fragen<br />

des Alters entschieden werden. Das betrifft grundlegend die Frage, wann ein Mensch<br />

überhaupt alt zu nennen sei. Der chronologisch-lineare Alterungsbegriff setzte sich umfassend<br />

und als Regulativ für den gesamten Lebenslauf erst mit der Industrialisierung<br />

durch (Kohli 1985). Zuvor gelten vor allem zyklische Zeitvorstellungen, zum Beispiel die<br />

Einteilung von Lebensphasen analog zu den Jahreszeiten, wie es bis heute metaphorisch<br />

in unserer Kultur geschieht, wenn etwa vom „Herbst des Lebens“ die Rede ist. Oft wird<br />

der Eintritt des Alters aufgrund physischer und psychischer Merkmale bestimmt. Diese<br />

körperlichen Merkmale werden nicht selten mit sozialen Merkmalen vermischt. Zum Beispiel<br />

gilt als alt, wer nicht mehr an weiten Jagdzügen oder an der Versorgung der Kleinkinder<br />

teilnimmt, wem es an Schnelligkeit mangelt, wer sich nicht mehr hinreichend selbst<br />

versorgen kann, wem der Partner stirbt oder wem ein Enkelkind geboren wird. Nicht selten<br />

werden ausschließlich soziale Maßstäbe angelegt. Alt ist, wer besondere Positionen<br />

und Funktionen übernimmt oder davon ausgeschlossen wird.<br />

Kulturelle Plastizität kann schließlich sogar bedeuten, dass das Alter eines Menschen<br />

nahezu irrelevant erscheint. Damit ist nicht nur gemeint, dass einige Kulturen auch mit<br />

dem hohen Alter keinerlei Rollenbrüche oder Statusverluste verbinden, sondern auch,<br />

dass alte Menschen so vollständig in Familien- und Verwandtschaftskreise eingebunden<br />

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