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6. Altenbericht

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den Bildern eines intakten Körpers. In solchen Situationen besteht die Tendenz, von der<br />

körperlichen Dimension auf die anderen Dimensionen der Person zu schließen: Körperliche<br />

Einschränkungen werden dann gleichgesetzt mit generellen Defiziten der Person.<br />

Dieser Schluss wird nicht nur für ältere Menschen gezogen, aber er gewinnt im Alter zunehmend<br />

an Bedeutung, weil in diesem Lebensabschnitt körperliche Einbußen und Hilfebedürftigkeit<br />

häufiger werden. Schließlich sind Menschen mit schweren körperlichen Einbußen<br />

davon bedroht, dass die soziale Umwelt den Kontakt zu ihnen deutlich reduziert<br />

oder einstellt – vielfach aufgrund von Ängsten, die die Begegnung mit körperlich schwer<br />

versehrten Menschen hervorrufen kann.<br />

Ein reduktionistisches Menschenbild, das die sozio-emotionale Entwicklung des Menschen<br />

weitgehend ausblendet und stattdessen allein die kognitive Leitungsfähigkeit als<br />

konstitutiv für Personalität und Würde setzt, kann gerade bei Menschen mit deutlich eingeschränkter<br />

Selbstständigkeit fatale Auswirkungen haben: Zum einen wird es diesen<br />

Menschen mit fortschreitendem Alter immer weniger möglich sein, soziale Teilhabe angesichts<br />

offener oder zum Teil subtiler Ausgrenzungsprozesse aufrechtzuerhalten; zum anderen<br />

können sich durch zunehmenden Unterstützungsbedarf und die vorherrschende<br />

Semantik von Pflegebedürftigkeit negative Auswirkungen auf Selbstwahrnehmung und<br />

Identität ergeben, was die Motivation zur Aufrechterhaltung sozialer Teilhabe erheblich<br />

reduzieren kann.<br />

Aus diesem Grunde ist Altersbildern und Lebensentwürfen von Menschen mit eingeschränkter<br />

Selbstständigkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Jegliche Form<br />

von Intervention mit dem Ziel der Förderung von Selbstständigkeit sollte immer auch die<br />

Altersbilder des in seiner Selbstständigkeit eingeschränkten Menschen thematisieren.<br />

Dabei ist im Austausch mit diesem zu erörtern, inwieweit diese Altersbilder auf einer Übernahme<br />

von Stereotypen oder auf einer differenzierten, realistischen Eigenwahrnehmung<br />

bestehender Potenziale und Grenzen beruhen.<br />

Angesichts schwerer körperlicher und psychischer Erkrankungen im hohen Alter wird die<br />

kritische Reflexion des in unserer Gesellschaft dominierenden Menschenbildes beziehungsweise<br />

Personenbegriffs als wichtige individuelle und gesellschaftlich-kulturelle Aufgabe<br />

betrachtet. Diese Aufgabe stellt sich nicht allein älteren, sondern auch jüngeren<br />

Menschen, die in Beziehung zu älteren Menschen stehen: Ohne eine solche – auch gesellschaftlich-kulturell<br />

unterstützte – Reflexion des Menschenbildes ist die Gestaltung und<br />

Aufrechterhaltung von Beziehungen und Begegnungen mit der älteren Generation deutlich<br />

schwieriger. Hinzu kommt, dass auch die Antizipation eigener Grenzsituationen (soweit<br />

diese möglich ist) das Individuum vor die Aufgabe stellt, darüber zu reflektieren, von<br />

welchem Menschenbild es sich leiten lässt und inwiefern dieses möglicherweise unvoll-<br />

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