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6. Altenbericht

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Spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte der weitere Weg der Mediziner<br />

zur Hormontherapie und damit auch von der Verjüngung des Mannes zur Verjüngung<br />

der Frau (Stoff 2004). Er führte weg von einer Utopie und hin zur Behandlung von spezifischen<br />

Alterskrankheiten. Die Anti-Aging-Medizin erscheint als eine aktive Vorsorge, in<br />

gewisser Weise sogar als ein neuer Lebensstil, mit dem der einzelne Mensch unter ärztlicher<br />

Betreuung versucht, die negativen Begleiterscheinungen des Alterns frühzeitig zu<br />

reduzieren und den Tod hinauszuzögern. Diese Technologie ist Ausdruck einer „medikalisierten<br />

Alternssicht“, welche die Verantwortung der Lebensführung dem Individuum überträgt,<br />

wobei Selbstdisziplin und Körperkontrolle als gesellschaftliche Normen wirken (von<br />

Kondratowitz 2003).<br />

Dagegen lehnten schon an der Wende zum 20. Jahrhundert die Vertreter und Vertreterinnen<br />

der so genannten „natürlichen Verjüngung“ alle derartigen Eingriffe und Manipulationen<br />

durch Chirurgie und „Rassenhygiene“ ab. Ihr Ziel hieß nicht Verjüngung, sondern<br />

„Aufhalten des Alterns durch natürliche Mittel, Neubelebung und Wiedergesundung unseres<br />

durch die Kultur der Städte und die falsche Lebensweise geschwächten Körpers“ (Höfer-Abeling<br />

1922: 50). Sie strebten danach, den Körper mit Hilfe von Diät, Gymnastik und<br />

Abstinenz zu stärken und ihn von seinen kulturellen Verformungen zu befreien. Während<br />

die „künstliche Verjüngung“ Ausdruck der technikbegeisterten Moderne war, verfolgte die<br />

„natürliche Verjüngung“ ein demonstrativ anti-modernes Programm. Auf ähnliche Ziele<br />

steuerte die Lebensreformbewegung mit ihrem „Zurück zur Natur“ zu. Aber alle diese<br />

Gruppierungen, die eine „natürliche Verjüngung“ durch eine veränderte Lebensweise anstrebten,<br />

waren mit ihrem Körperkult ebenfalls Ausdruck eines „Kulturkampfes“ der Jungen<br />

gegen die Alten.<br />

Die Verherrlichung der Jugend und die Missachtung bis Verhöhnung des Alters mündeten<br />

in dem von immer mehr Menschen gehegten Wunsch, die mittlere Lebensphase zu verlängern.<br />

Eine jugendzentrierte Gesellschaft mit ihren vielgestaltigen Jugendbewegungen<br />

machte sich daran, möglichst lange dem vorherrschenden Ideal zu entsprechen und sich<br />

durch Tarnung mit einem jugendlichen Äußeren vor einer altersfeindlichen Umwelt zu<br />

schützen. Diese Entwicklung führte längerfristig dazu, dass heute auch das Bild der „neuen<br />

Alten“ Aktivität auszustrahlen hat. Auch ihre Körper sollen geschmeidig, weiterhin gestaltbar<br />

und formbar sein. Die Ethik der Geschäftigkeit, von der die heutige Konsumgesellschaft<br />

durchdrungen ist, sowie die heute gültigen Konventionen, die Aktivität, Gesundheit<br />

und Unabhängigkeit verlangen, beziehen auch den Körper der Älteren mit ein.<br />

Da aber der Gang zum Chirurgen und zur Chirurgin für die meisten zu kostspielig und der<br />

Gang auf den Sportplatz zu anstrengend oder eine Korrektur des Körpers von vornherein<br />

zwecklos ist und war, entschieden sich bereits in der Zwischenkriegszeit viele für das kos-<br />

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