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6. Altenbericht

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tengünstigste und bequemste Mittel, nämlich die Maskerade mit Hilfe von Stoff, Schminke<br />

und Farbe, so wie es Frauen aus den obersten Gesellschaftsschichten schon seit Jahrhunderten<br />

vorexerziert hatten. In der Zwischenkriegszeit, als sich die spätere Massenkonsumgesellschaft<br />

mit billiger Kleidermode bereits am Horizont ankündigte, gingen weibliche<br />

Angestellte in den Städten als Erste diesen Weg. Sie hatten bereits in jüngeren Jahren<br />

während des Kaiserreichs zu Kosmetika gegriffen und deren positive Wirkung für das<br />

Selbstwertgefühl schätzen gelernt. Mit dem Älterwerden benutzten sie die Mittel der Maskerade<br />

dazu, die von der städtischen Gesellschaft fortan immer weniger akzeptierten Erscheinungen<br />

des Alters zu verdecken und sich selbst vor möglichen gesellschaftlichen<br />

Ausgrenzungen zu schützen. Sie fingen an, den außer Kontrolle geratenen Körper durch<br />

Kleidung und Schminke, bisweilen auch schon durch Ernährung zu bearbeiten, um gut<br />

auszusehen und sich wohlzufühlen. Simon Biggs (2004) weist darauf hin, dass derartige<br />

„taktische Manöver“ durchaus helfen, eine Lösung zu finden für die Widersprüche zwischen<br />

der in der Gesellschaft vorhandenen Altersdiskriminierung und dem persönlichen<br />

Wunsch nach Integration in die Gesellschaft. Die Maskerade unterstützt die Aufrechterhaltung<br />

einer stabilen Identität im Alter.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Altersmaskerade nur sehr zögernd zur Anwendung –<br />

keinesfalls in der ländlichen Welt, kaum einmal im Arbeitermilieu der Städte, eher schon<br />

im aufstrebenden städtischen Bürgertum. Männer versteckten ihr Alter noch nicht unter<br />

einer Maske, lediglich Frauen, die damit zu Vorreiterinnen einer Entwicklung wurden, die<br />

seit Anfang der 1960er Jahre auch von älteren Frauen allgemein akzeptiert und vermehrt<br />

praktiziert wurde. Noch 1949 hatte Simone de Beauvoir im Alter von 40 Jahren mit Blick<br />

auf ihre französischen Mitbürgerinnen kritisiert, dass ihr Kampf, „dem Verfall jenes fleischlichen<br />

Objekts“ mit gefärbtem Haar, glatt rasierten Beinen und Schönheitsoperationen<br />

entgegenzuwirken, lediglich „ihre verblühende Jugend“ hinauszögere und sie sich nur<br />

noch im Spiegel etwas vormachen könnten (de Beauvoir 1972). Sie konnte nicht voraussehen,<br />

dass sich vom ausgehenden 20. Jahrhundert an auch Männer der Kosmetik bedienen<br />

würden. Dennoch scheint es auch heute vor allem bei Frauen Unzufriedenheiten<br />

mit dem eigenen äußeren Erscheinungsbild zu geben. Glaubt man entsprechenden Forschungen,<br />

dann gründen Frauen ihre Identität stärker als Männer auf den Körper, zumal<br />

Mädchen von Kindheit an erfahren, dass sie von anderen vor allem ästhetisch beurteilt<br />

werden.<br />

Die Maskerade fand gegen Ende des 20. Jahrhunderts allgemein Verbreitung und war<br />

eine neue Form des Altersmanagements. Zuvor hatten die Mitmenschen vor allem im<br />

ländlichen Raum erwartet, dass sich Ältere durch Symbole des Alters wie graue Haare,<br />

faltige und alterspigmentierte Haut oder Gehstock gegenüber ihrer Umwelt auch als alt<br />

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