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6. Altenbericht

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Aus psychologischer Sicht muss bei individuellen Altersbildern also zwischen Meinungen<br />

und Einstellungen differenziert werden. Während Meinungen im Abgleich mit wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen als „richtig“ oder „falsch“ beurteilt werden können (siehe die<br />

Diskussion im vorangegangenen Abschnitt), beziehen sich Einstellungen auf eine evaluative<br />

Komponente („gut“ oder „schlecht“), die sich wiederum einer wissenschaftlichen Bewertung<br />

entzieht. Einstellungen sind keine empirisch überprüfbaren Aussagen, sondern<br />

zeigen die emotionale oder motivationale Ausrichtung einer Person auf Alter, Altern und<br />

alte Menschen. Einstellungen erlauben es Menschen, Situationen mit Blick auf eigene<br />

Ziele und Wertvorstellungen sehr rasch einzuschätzen, dies ist eine für die Adaptation an<br />

verschiedene Situationen notwendige Fähigkeit des Menschen. Einstellungen sind ein Teil<br />

des Gedächtnisses und beeinflussen die Speicherung und den Abruf von im Gedächtnis<br />

repräsentierten Informationen (Chaiken 2001). Diese Funktion von Einstellungen spielt<br />

auch bei Einstellungen mit Blick auf Alter, Altern und alte Menschen eine bedeutsame<br />

Rolle.<br />

Seit den 1970er Jahren wird – zunächst von der Gerontologie, später dann auch in der<br />

öffentlichen Debatte – immer wieder darauf hingewiesen, dass individuelle Einstellungen<br />

zu Alter und Altern eher negativ sind. 1 Ein bekanntes und häufig verwendetes Sprichwort<br />

lautet: „Alt werden will jeder, alt sein will keiner“. 2 Diese ambivalente Konnotation des Älterwerdens,<br />

die eine positive Bewertung der Langlebigkeit mit einer negativen Bewertung<br />

der Altersphase verbindet, ist typisch für das in der gerontologischen Literatur häufig zitierte<br />

„negative Altersstereotyp“ (Lehr und Niederfranke 1991). Bei der Kombination der<br />

Begriffe „negativ“ und „Altersstereotyp“ wird übrigens auch deutlich, dass eine Trennung<br />

in (neutrale) Meinungs-, Überzeugungs- und Wissensbestände sowie (evaluative) Einstellungen<br />

oft gar nicht so leicht ist. In allen Altersgruppen wurden überwiegend eher abwertende<br />

Einstellungen und Stereotype über das Alter und das Altwerden festgestellt (Cuddy<br />

und Fiske 2002). Dies manifestiert sich in diskriminierenden Einstellungen und diskriminierendem<br />

Verhalten gegenüber älteren Personen, zum Beispiel gegenüber älteren Erwerbstätigen<br />

(Glover und Branine 2001), älteren Patienten in der medizinischen Versorgung<br />

(Bowling 1999) oder in der pflegerischen Versorgung (Baltes und Reisenzein 1986).<br />

1 Es gibt eine kritische Einschätzung, nach der die Sozialgerontologie seit den 1970er Jahren in<br />

übertriebenem Maße negative Altersbilder beklagt und angeprangert habe, sodass sich in der öffentlichen<br />

Debatte irgendwann tatsächlich die Ansicht durchgesetzt habe, negative Altersbilder<br />

würden den gesellschaftlichen Umgang mit dem Alter dominieren. Dem von ihr selbst aufgebauten<br />

Schreckgespenst „Dominanz der negativen Altersbilder“ setze die Gerontologie seitdem<br />

„neue“, positive Altersbilder entgegen und ziehe aus dem Streben nach Verbreitung positiver Altersbilder<br />

einen Gutteil ihrer Daseinsberechtigung (Carls 1996).<br />

2 Das Original-Zitat stammt aus dem Drama „Die beiden Klingsberg“ von August von Kotzebue: „Alt<br />

werden will jedermann; aber alt scheinen niemand“.<br />

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