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6. Altenbericht

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jünger werden. Folglich nahm auch das Altersbild neue Konturen an, und umgekehrt diente<br />

dieses aufgefrischte Bild vom jungen Alter dazu, den sozialhistorisch völlig neuen Ruhestand<br />

als „verdienten Ruhestand“ schmackhaft zu machen und als eine materiell abgesicherte<br />

und „für eine individuelle Gestaltung jenseits der Erwerbsarbeit weitgehend offene<br />

Lebensphase“ gesellschaftlich zu etablieren. Alter wurde in gewisser Weise gleichbedeutend<br />

mit Müßiggang und stand damit in scharfem Kontrast zu den Werten der Arbeitsgesellschaft.<br />

Schon bald trat jedoch die übrige Gesellschaft mit neuen Forderungen an die älteren<br />

Menschen heran. Während die sozialwissenschaftliche Forschung sich zunächst den<br />

Problemen der individuellen Bewältigung des Übergangs in den Ruhestand gewidmet<br />

hatte, brachten die Forscher und Forscherinnen seit den 1980er Jahren alterspolitische<br />

Aktivierungsprogramme auf den Weg, die dem institutionalisierten Müßiggang zuwiderliefen.<br />

Sie propagierten gesunde Lebensführung, lebenslanges Lernen, bürgerschaftliches<br />

Engagement und anderes mehr. Der gemeinsame Nenner bestand aus aktiven Rollenmodellen<br />

als zentralen Bestandteilen einer neuen Kultur des Alters (Lessenich 2005). Mit<br />

diesem Aktivierungsprogramm wurde die persönliche Freiheit der alten Menschen wiederum<br />

eingeengt, wobei alle diese neuen Zwänge jedoch nicht mit den moralischen<br />

Zwängen früherer Jahrhunderte zu vergleichen sind. Diese waren meist mit direkten, harten<br />

Sanktionen der persönlichen Umgebung verbunden gewesen; nicht so die neuen. Sie<br />

betrafen zunächst die Gesundheit des Einzelnen und der Einzelnen. Im Bewusstsein breiter<br />

Bevölkerungsschichten haben sich inzwischen wissenschaftlich etablierte und von den<br />

Massenmedien bis in die letzte Stube transportierte Erkenntnisse des Zusammenhangs<br />

von gesunder Ernährung, sportlicher Betätigung und weiterer Gesundheitsförderung eingelagert.<br />

Gesundheitsfördernde Lebensformen werden heute von einer wachsenden Zahl<br />

von Menschen als individuelle Strategien im Umgang mit den Gesundheitsrisiken und<br />

dem Älterwerden und dem Ziel der körperlichen und geistigen Fitness freiwillig praktiziert.<br />

Alle diese Zwänge, die am Körper arbeiten und sein Verhalten verändern, sind inzwischen<br />

zu normativen Leitbildern ausgewachsen. Mit der Finanzierungskrise des Sozialstaates<br />

setzte ein neuer Diskurs um die Produktivität des Alters ein, der mit einer Wiederentdeckung<br />

und Wiederverpflichtung der Älteren verbunden war, und zwar nicht nur als Konsumenten<br />

und Konsumentinnen. Inaktivität im Ruhestand gilt seitdem in zunehmendem<br />

Maße als begründungsbedürftig, und ein „erfüllter“ Lebensabend zeichnet sich dadurch<br />

aus, dass die Älteren alle ihre Ressourcen, Kompetenzen und Potenziale in einen neuen<br />

Generationenvertrag einbringen. Ein Nützlichkeitsargument durchzieht den Diskurs der<br />

Experten und Expertinnen, wonach alle Fähigkeiten der Älteren nicht nur individuell, sondern<br />

auch zum Nutzen der Gesellschaft eingesetzt werden sollen (Lessenich 2005).<br />

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