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6. Altenbericht

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orientierten. Sie präsentierten neue kulturelle Muster zur Bewältigung der veränderten<br />

lebensweltlichen Bedingungen, darunter auch Konzepte für eine neue Körperlichkeit, die<br />

sie mit Vorliebe aus der Welt des Sports bezogen. Dieser war seit dem ausgehenden 19.<br />

Jahrhundert als Leistungs- und Rekordsport zu einer Massenbewegung aufgestiegen und<br />

ließ die alten Leibesübungen eines Turnvaters Jahn bereits als antiquiert erscheinen. Die<br />

urbane Gesellschaft investierte gewaltige Summen in den Aufbau von Infrastruktur, Institutionen<br />

und Organisationen des Leistungssports und feierte die Sieger als Heroen, zumal<br />

diese genau denselben Zielen und Regeln folgten wie die Akteure in der industriellen<br />

Welt: schneller, weiterer, höher beziehungsweise produktiver und erfolgreicher. Als Freizeitbeschäftigung<br />

wurde Sport zwar als ein Stück aktiver Lebensgestaltung und Befriedigung<br />

jenseits der Arbeitswelt verstanden, doch zugleich war er mit seinen Organisationsformen<br />

und seinem überwältigenden Lob von Schnelligkeit und Rekord auch ein Abbild<br />

dieser technisch-bürokratischen Leistungswelt, wie umgekehrt die Sieger und Siegerinnen<br />

mit ihren Körperformen zu Vorbildern für die Arbeits- und Lebenswelt wurden.<br />

Die Gestalt des Sportlers stieg innerhalb kurzer Zeit zum Prototyp des modernen Menschen<br />

auf. Nach Ansicht der Meinungsmacher ließ sich ein den Prinzipien des Leistungssports<br />

unterworfener Körper reibungslos und mit Spitzenergebnissen in die Lebens- und<br />

Arbeitsverhältnisse der modernen Industriegesellschaft einpassen. Sportler wurden unter<br />

den veränderten Bedingungen mit ihren schlanken Körpern zuerst zu Vorbildern für alle,<br />

die von den neuen Lebensbedingungen am meisten profitierten: die städtischen Mittelund<br />

Oberschichten, vor allem die Aufsteiger aus den freien Professionen und die Angestellten.<br />

Diese verwandten fortan viel Zeit und Geld für Körperpflege und Mode und präsentierten<br />

der Öffentlichkeit ihre vorteilhaft gestalteten Körper, die Dynamik, Ausdauer,<br />

Gesundheit, Gestaltungswillen, Selbstbeherrschung und Wissen signalisierten. Sie setzten<br />

ihre Körper als kulturelles Kapital ein. „Jugendmensch“ wurde zu einem Adelsprädikat,<br />

das fast jeder erwerben konnte, nur nicht die von lebenslanger harter Arbeit deformierten<br />

Älteren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts scheint der Körper frei modellierbar und zwar<br />

durch eine bewusste „Arbeit am Leib“ und durch ein „zähes Ringen um den Leib“ (Reuter<br />

1986: 408). Der Körper scheint seitdem nicht mehr als Schicksal und unveränderbar von<br />

Gott oder der Natur gegeben, sondern er wird zur lebenslangen Aufgabe. Der moderne<br />

Mensch wird zum „Unternehmer seines eigenen Lebens“ (Foucault 2004: 314). Jugend<br />

und jugendlich scheinende Körper wurden zum Inbegriff für Leistung und Aktivität, Alter<br />

und altersgraue Körper dagegen zum Synonym für Schwäche und Rückschritt. Den alternden<br />

Körpern haftet seitdem Unsportlichkeit wie ein sozialer Makel an. Die betonte<br />

Glorifizierung des athletischen, jugendlichen Körpers ließ das Älterwerden als doppelt<br />

störend erscheinen. Das Primat der Jugendlichkeit verstärkte indirekt die negativen An-<br />

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