20.07.2013 Aufrufe

6. Altenbericht

6. Altenbericht

6. Altenbericht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der Aufstieg des olympiareifen Körpers als Idealgestalt auf die oberste Stufe des Sieger-<br />

podests ging einher mit einem Aufsehen erregenden Verjüngungsdiskurs − ebenso Ausdruck<br />

des zunehmenden Unbehagens am Alter. Zwei Richtungen standen sich dabei gegenüber,<br />

von denen jede auf unterschiedlichen Wegen – auf „natürliche“ und „unnatürliche<br />

„Weise“ – eine zweite Jugend versprach. Die eine Richtung propagierte die Stärkung<br />

der „natürlichen“ Kräfte durch Diät, Gymnastik und Abstinenz, die andere sah in Mode,<br />

Kosmetik und Chirurgie die wahren Heilsbringer. Der Ahnherr der Hormontherapie, der<br />

Neurologe und Physiologe Charles Edouard Brown-Séquard (1817–1894), hatte mit seinen<br />

Selbstversuchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch relativ wenig von sich reden<br />

gemacht, als er sich eine Mixtur aus zerstampften tierischen Hoden unter die Haut spritzte.<br />

Dagegen produzierten der Wiener Physiologe Eugen Steinach (1861–1944) und der in<br />

Paris lehrende russische Arzt Serge Voronoff (1866–1951) unübersehbare Schlagzeilen<br />

und brachten es mit ihren Verjüngungsoperationen in den 1920er Jahren sogar auf die<br />

Leinwand. Steinach löste ab 1920 in der Presse wahre Begeisterungsstürme aus, als er<br />

versicherte, mit seinen Experimenten an Ratten und Meerschweinchen zu einer „Verjüngung<br />

durch experimentelle Neubelebung der alternden Pubertätsdrüsen“ beizutragen. In<br />

„Westermanns Monatsheften“ war daraufhin zu lesen: „Die Verjüngungskur, der Stein der<br />

Weisen, dessen Wunderwirkung die Alchimisten vergebens suchten, scheint gefunden zu<br />

sein“. Voronoff verkündete 1928 unter dem programmatischen Titel „Die Eroberung des<br />

Lebens“, die Gesellschaft habe die angeblichen Freuden des Alters lediglich erfunden, um<br />

die Menschen über ihren körperlichen und geistigen Verfall hinwegzutrösten. Er schlug<br />

vor, „gegen das Altwerden vorzugehen wie gegen eine Krankheit“ und das biologische<br />

Naturgesetz zu überlisten. Er wie andere traten wie wahre Wunderheiler auf und versprachen<br />

eine Straffung der Muskulatur, Verschärfung der Sinne, Heilung von Herzleiden und<br />

eine Wiederbelebung des Sexuallebens – kurz: eine erneute Jugend. Glaubt man den<br />

Berichten der Verjüngungsärzte, dann wurden in dem Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg<br />

Tausende von Eingriffen vorgenommen (Schroeter 2008; Stoff 2004).<br />

Zeitgleich und als medizinische Alternative zu den Verjüngungstherapien und -operationen<br />

sagten andere Mediziner mit Hilfe der Eugenik der oftmals beschworenen „Überalterung“<br />

der Gesellschaft sowie dem altersbedingten Leistungsabbau den Kampf an. Auch<br />

ihr Ziel war unter anderem die Züchtung gesunder, leistungsstarker und leistungsbereiter<br />

Greise, indem sie kräftige und potente junge Männer und Frauen zum Zeugungsakt zusammenführten.<br />

Der Rostocker Kliniker Friedrich Martius meinte im Jahre 1911 trotz seiner<br />

Skepsis gegenüber dem rassenhygienischen Paradigma, dass allein der geistig und<br />

körperlich rüstige Greis als gesellschaftlich wertvoll gelten könne, während der senile Alte<br />

ein nutzloser Schädling sei.<br />

76

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!