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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 101 – Drucksache 18/11050<br />

derjährige in besonderer Weise des Schutzes und der Hilfe bedürfen. Die Grundsituation des Kindes ist von<br />

einem Spannungsfeld aus Schutzbedürftigkeit und Autonomiestreben geprägt. Insbesondere kleinen Kindern<br />

fehlen die Fähigkeiten und die Lebenserfahrung, um alle ihre Angelegenheiten autonom zu regeln. Man kann<br />

politisch und auf einfachrechtlicher Ebene darüber streiten, ob Kindern und insbesondere Jugendlichen mehr<br />

oder weniger eigene Entscheidungs- und Handlungskompetenzen zustehen sollten und ob bestehende Altersschwellen<br />

sachlich gerechtfertigt sind. Die Grundsituation aber, dass es im Leben eines jeden Kindes Momente<br />

und Angelegenheiten gibt, in denen andere über seine Belange entscheiden, ist ein prägendes Moment der<br />

Kindheit. Der subjektiven Perspektive auf die Welt, die das Kind zweifellos von Geburt an hat, erwachsen nicht<br />

immer auch Rechte zur letztgültigen Entscheidung. Dieses Spannungsfeld aus Verletzlichkeit und Eigensinn gilt<br />

es im Recht immer wieder abstrakt und für das Leben des einzelnen Kindes auszutarieren. Es macht es auch<br />

notwendig, dem Kind für bestimmte Zeiten und Entscheidungen Menschen zur Seite zu stellen, die es in seinen<br />

Interessen angemessen vertreten. Das Grundgesetz verteilt diese Vertretungsmacht zwischen Eltern und Staat<br />

und regelt einen klaren, aber keineswegs unbegrenzten Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2<br />

GG)“ (ebd.).<br />

Die Rechtsposition des Kindes wird entsprechend vor allem aus der Schutzbedürftigkeit hergeleitet, die immer<br />

auch im Verhältnis zu den Autonomiebestrebungen gesehen wird. Kindheit wird also in der generationalen Ordnung<br />

als Lebensalter gesehen, in dem Erwachsene die Entscheidungsverantwortung in unterschiedlichen sozialen<br />

Konstellationen für die Kinder übernehmen müssen. Das Jugendalter erscheint dann als Zeit der Verselbstständigung,<br />

in der jungen Menschen „Entscheidungs- und Handlungskompetenzen“ – Teilmündigkeiten – sukzessive<br />

zugeschrieben werden, um auch letztgültige Entscheidungen treffen zu können.<br />

Dieses drückt sich, so Wapler weiter, im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus, aus dem „mithin nicht nur ein<br />

Recht auf Schutz, sondern auch ein Grundrecht des Kindes auf Beteiligung und Berücksichtigung“ erwächst:<br />

„Im einfachen Recht wird es auf unterschiedliche Weise umgesetzt: Gesetzliche Teilmündigkeiten können insbesondere<br />

Jugendlichen Letztentscheidungsrechte in höchstpersönlichen Angelegenheiten einräumen. Die wichtigsten<br />

Teilmündigkeiten im deutschen Recht sind die Religionsmündigkeit mit 14 Jahren (§ 5 RKEG) und die<br />

Verfahrensfähigkeit vor dem Familiengericht, die ebenfalls mit 14 Jahren beginnt (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG).<br />

Darüber hinaus sind gesetzlich geregelte Letztentscheidungsbefugnisse für Kinder und Jugendliche im deutschen<br />

Recht selten zu finden. […] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Recht des Kindes auf Beteiligung<br />

und Berücksichtigung aus Art. 12 UN-KRK auf verfassungsrechtlicher Ebene im Recht des Kindes auf<br />

Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit seine Entsprechung findet. Im einfachen Recht fehlt es<br />

hingegen vielfach an klaren Vorgaben, und selbst dort, wo mit der ‚hinreichenden Einsichtsfähigkeit’ ein rechtlicher<br />

Maßstab besteht, herrscht über die Voraussetzungen dieser Einsichtsfähigkeit bei weitem keine Einigkeit.<br />

Im Hinblick auf die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen könnte die einfach-gesetzliche Rechtslage<br />

mithin noch deutlich verbessert werden“ (ebd., S. 32ff.).<br />

Historisch gesehen ist diese rechtliche Kodifizierung von Kindheit und Jugend über die Schutzbedürftigkeit und<br />

Verselbstständigung sowie die Fixierung von Beteiligungsrechten vor allem in der Sozialgesetzgebung zu finden,<br />

die u. a. zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit den Regulationen der Kinderarbeit begann. 1824 wurde z. B.<br />

durch eine „Centralverfügung“ des preußischen Unterrichtsministers v. Altenstein eine Enquete eingesetzt, „die<br />

Aufschluß über den Umfang der Kinderarbeit geben sollte“ (Frerich/Frey 1996, S. 43). Als zweites ähnlich gerichtetes<br />

Projekt kann die behördliche Untersuchung von 1827 zum Zusammenhang von Armut, Kriminalität<br />

und Fürsorgeerziehung gelten. 1839 wurde dann im Kontext der Altenstein-Initiative in Preußen erstmals im<br />

Regulativ über die Beschäftigung junger Arbeiter in Fabriken eine gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit<br />

festgesetzt.<br />

In den Folgejahren ist die Geschichte der rechtlichen Bemühungen um das Jugendalter vor allem durch die Bereiche<br />

des Jugendschutzes, der Jugendberufsbildung, der Jugendwohlfahrt sowie des Jugendstrafrechts geprägt.<br />

Auch hier drückt sich der protektionistische Pfad in der Jugendpolitik aus (vgl. Abs. 1.2.2). Dies spiegelt sich<br />

auch in den verfassungsrechtlichen Grundlegungen wider, soweit hier überhaupt von Jugendlichen oder Jugend<br />

gesprochen wird. In der Weimarer Reichsverfassung (WRV) wird zwar „erstmals die verfassungsrechtliche<br />

Perspektive punktuell auch auf den Bereich der ‚Jugend’ erweitert“, doch nur „mit Blick auf den Jugendschutz<br />

in Art. 118 Abs. 2 Satz 2 (‚zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend’)<br />

und Art. 122 Satz 1 (‚Die Jugend ist gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige oder körperliche Verwahrlosung<br />

zu schützen’). Und zum anderen lautete Art. 143 Abs. 1 WRV: ‚Für die Bildung der Jugend ist<br />

durch öffentliche Anstalten zu sorgen’. Auch das Grundgesetz spricht seit 1949 in dem für den Bereich von Ehe<br />

und Familie zentralen Art. 6 GG lediglich von ‚Kindern’ – und meint damit ebenfalls alle Minderjährigen im

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