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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 84 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

tungen an die Jugendlichen, losgelöst von den sozialen und institutionellen Erfahrungen der Jugendlichen, diskutiert<br />

und nicht im institutionellen Gefüge des Jugendalters oder gar in einer Auseinandersetzung mit der generationalen<br />

Lage Jugendlicher betrachtet.<br />

Jugend erscheint somit in den unterschiedlichen Sphären der Gesellschaft nur indirekt im Bild einer eigenständigen<br />

Lebensphase, viel stärker tritt ein anderes Bild hervor: Jugendliche werden als individuell Lernende in<br />

ihrem Optimierungspotenzial adressiert (vgl. auch Reinders 2016). Anstatt Jugend als gesellschaftlichen Ermöglichungsraum<br />

in der gegenwärtigen sozialhistorischen Situation zu diskutieren, wird, wenn überhaupt, nach<br />

individuellen Entlastungs- und „Freiräumen“ (vgl. auch Abs. 1.3.4) für einzelne Jugendliche im Alltagsstress<br />

des Jugendlebens gefragt. Bezugspunkt ist damit nicht die Jugend im Generationenzusammenhang, sondern die<br />

jeweils individuelle Befähigung von Jugendlichen. Diese Verschiebung in der Aufmerksamkeit „Von der Jugend<br />

zum Jugendlichen“ verdeckt die Frage, wie gegenwärtig Jugend als eigenständige Lebensphase konstruiert<br />

wird, welche sozialen Handlungsspielräume Jugendliche haben und wie sie diese gestalten können.<br />

In diesem Jugendbericht wird davon ausgegangen, dass Jugend weiterhin als generationale Lage und als gesellschaftlicher<br />

Integrationsmodus hergestellt wird. Es wird angenommen, dass gerade heute – im Gegensatz zu<br />

früheren Zeiten, wo es allein proklamiert wurde – gefragt werden muss, wie Jugend als eigenständige Lebensphase<br />

für junge Menschen jugendpolitisch ermöglicht wird. Dies zeigt nicht nur der in den skizzierten Sphären<br />

dargestellte Bedarf, sich wiederum neu systematisch zu vergewissern, wie Jugend als Lebensphase empirisch<br />

gefasst werden kann, sondern auch die Frage, welche Folgen die Politiken und Diskurse der vergangenen Jahre<br />

für die Lebensphase Jugend haben.<br />

1.2 Von den Jugendlichen zur Jugend: Kernherausforderungen des Jugendalters<br />

Seit dem ersten Jugendbericht, aber auch in neueren Jugendstudien, sind sich alle Diagnosen in einem Punkt<br />

einig: „DIE Jugend gibt es nicht“ bzw. „EINE Jugend existiert nicht“ (vgl. z. B. Deutscher Bundestag 1965,<br />

dann aber auch die Sinus-Studien, Shell-Studien etc.). Gemeint war (und ist) mit dieser Formel, dass Jugend als<br />

ein einheitliches Gebilde bzw. als „einheitliche Lebenslage“ nicht existiere. Diese Einsicht ist auf den ersten<br />

Blick einleuchtend. Das Alltagsleben Jugendlicher ist nicht ohne weiteres zu vereinheitlichen. Lebensbedingungen<br />

von Jugendlichen in der einen Region haben wenig mit denen in anderen Regionen gemeinsam, einige<br />

Gruppen junger Menschen genießen weitreichendere Teilhaberechte als andere. Zu unterschiedlich sind die<br />

sozialen, ökonomischen und politischen Konstellationen, die Jugendliche und junge Erwachsene vorfinden und<br />

in denen sie sich zurechtfinden (müssen). Multiple Erwartungen werden an sie herangetragen und je nach Milieu,<br />

Geschlecht, Herkunft und sozialem Status variieren diese Anforderungen erheblich.<br />

Gleichwohl erscheint die ablehnende Formel von „der Jugend“ auf den zweiten Blick fragwürdig. Zwar existieren<br />

große Unterschiede in den sozialen Spielräumen und im Alltagsleben Jugendlicher, damit ist jedoch die<br />

Jugend als soziale Figur einer eigenständigen Lebensphase bzw. sozialwissenschaftlich als Lebensalter noch<br />

nicht beschrieben. Es ist nicht im Blick, wie Jugend als Integrationsmodus unserer Gesellschaft gestaltet wird,<br />

über den die jungen Menschen in ein Verhältnis zur Gesellschaft gesetzt werden und sich setzen. Im Unterschied<br />

zu dem verkürzten Integrationsbegriff in den öffentlichen Diskussionen um Inklusion oder Migration<br />

geht es hierbei nicht um die Assimilation von Einzelnen in die soziale Ordnung. Jugend als Integrationsmodus<br />

meint vielmehr, dass moderne Gesellschaften über die generationale Ordnung der Lebensalter das Verhältnis<br />

von Individuen und Gruppen zur gesellschaftlichen Entwicklung arrangieren. Jugend ist eine Struktur, über die<br />

das soziale Zusammenleben und die soziale Ordnung gestaltet wird und über die funktionale Zusammenhänge<br />

hergestellt sowie soziale Erwartungen formuliert werden.<br />

So wäre zu fragen, wie sich Jugend angesichts der „generationalen Ordnung des Sozialen“ (Alanen 1992/1997)<br />

durch einen spezifischen Integrationsmodus auszeichnet und als Lebensphase von anderen Lebensaltern (Kindheit,<br />

Erwachsenenalter, Alter) durch ganz bestimmte Kernherausforderungen in der Vermittlung von Individuum<br />

und Gesellschaft abgrenzt. Sind also auch gesellschaftliche Anforderungen und Erwartungen, die an die<br />

Jugendlichen adressiert werden und politisch, rechtlich, psychologisch, pädagogisch formuliert werden, als „der<br />

Jugend“ zugehörig identifizierbar? Kurz: Gibt es in dieser Hinsicht „die Jugend“? Damit rückt die Frage in den<br />

Vordergrund, wie Jugend als Lebensphase und damit als eine generationale Lage sozial ermöglicht wird.

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