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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 205 – Drucksache 18/11050<br />

In den vorliegenden Shell-Jugendstudien aus den letzten Jahren zeichnete sich bis 2010 ein ganz klarer Wunsch<br />

zum „Pro-Familien-mit Kind-Trend“ bei Jugendlichen ab. Zu diesem Zeitpunkt gaben 81 Prozent der befragten<br />

Mädchen und jungen Frauen bzw. 71 Prozent der Jungen und jungen Männer an, dass man eine Familie brauche,<br />

„um glücklich sein zu können“. Diese seit 2002 stets anwachsende Entwicklung im Sinne einer Familienorientierung<br />

scheint laut der Befunde der aktuellen Shell-Jugendstudie zumindest unterbrochen: Im Jahr 2015<br />

stimmten noch 70 Prozent der jungen Frauen und 57 Prozent der jungen Männer dem Zusammenhang von<br />

Glück und Familie zu, das sind insgesamt noch 63 Prozent der Befragten. Dieser unübersehbare Rückgang der<br />

Zustimmung gilt für alle Befragtengruppen – unabhängig von Migrationshintergrund, Siedlungsstruktur und<br />

Region – mit einer Ausnahme: Einzig im Milieu der „unteren Schicht“ verbleibt die Zustimmung mit 65 Prozent<br />

im nunmehr nahezu überdurchschnittlichen Niveau, womit Elternschaft für Jugendliche dieser sozialen Gruppe<br />

eine positivere Bedeutung hat als für andere Jugendliche. Gleichzeitig positionierten sich die Jugendlichen insgesamt<br />

zunehmend derart, dass sie sich vorstellen könnten, auch ohne Familie „glücklich“ zu leben (weibl. 2015<br />

+ 6 Prozentpunkte; männl. + 11 Prozentpunkte) (Leven u. a. 2015, S. 57f.).<br />

Eine ähnliche, aber weniger deutliche Entwicklung zeigt sich bei der Frage, ob sich die Jugendlichen eigene<br />

Kinder wünschen. Von 2010 zu 2015 ging der Anteil derjenigen, die dies positiv beantworten, von 69 auf<br />

64 Prozent zurück. Besonders in der „unteren Mittelschicht“, unter den Bewohnern und Bewohnerinnen von<br />

Ballungsräumen und ländlichen Regionen sowie bei den älteren Jugendlichen ab 18 Jahren wird der Kinderwunsch<br />

2015 erheblich seltener bejaht als im Jahre 2010. Am meisten Zustimmung findet der Kinderwunsch bei<br />

Jugendlichen der „oberen Schicht“, deren Zustimmungsrate sogar um fünf Prozentpunkte auf 76 Prozent steigt.<br />

Gleichzeitig zeigt sich, dass unter den jungen Männern inzwischen 40 Prozent der Meinung sind, ohne Kind<br />

genauso glücklich leben zu können wie mit. Der Angabe, dass eigene Kinder notwendig sind, um glücklich zu<br />

sein, stimmen 2015 lediglich 37 Prozent der Männer zu, aber 44 Prozent der jungen Frauen, während 31 Prozent<br />

der weiblichen Jugendlichen einschätzen, dass ein Leben ohne Kinder ebenso glücklich sei wie mit eigenen<br />

Kindern (vgl. Leven u. a. 2015, S. 60f.).<br />

Interessant wäre es, danach zu fragen, was genau Jugendliche mit dem Begriff von Familie eigentlich verbinden<br />

– denn offensichtlich erschöpfen sich deren Vorstellungen von „Familie“ keineswegs in einem intergenerationalen<br />

Beziehungszusammenhang von Eltern und Kindern (vgl. oben), sondern es werden andere familiale Lebensformen<br />

(wenn auch in geringfügigerem Maße) mitgedacht. Hier steht die Konstellation in den Herkunftsfamilien<br />

an oberster Stelle, denn zumindest statistisch zeigt sich, dass der spätere Kinderwunsch der Jugendlichen<br />

(bislang ohne Kinder) entscheidend davon abhängt, wie ihr gegenwärtiges Verhältnis zu den Eltern eingeschätzt<br />

wird: 73 Prozent der Jugendlichen, die angeben, mit ihren Eltern in einem guten Verhältnis zu leben, wünschen<br />

sich Kinder, während diejenigen, die kein gutes Verhältnis zu den Eltern angeben, dies nur zu 51 Prozent bejahen.<br />

Stark wirkt hierbei auch die Einschätzung der eigenen Zukunftschancen: Diejenigen Jugendlichen, die ihre<br />

eigene Zukunft positiv beurteilen, wünschen sich häufiger Kinder als diejenigen, die ihre eigene Zukunft eher<br />

düster zeichnen (Zukunft positiv: 74 % Kinderwunsch, negativ: 50 %; vgl. Leven u. a. 2010, S. 62). Dabei stellt<br />

sich die Mehrheit als ideales Konstrukt das Zwei-Kinder-Modell vor (71 %), ein Kind ist für zwölf Prozent der<br />

Jugendlichen erstrebenswert und immerhin 17 Prozent derjenigen, die sich Kinder wünschen, können sich ein<br />

Leben mit drei oder mehr Kindern vorstellen (vgl. ebd.). Jugendliche, die bereits Mutter oder Vater eines Kindes<br />

sind, können sich mehrheitlich ein zweites Kind vorstellen (56 %); 31 Prozent wünschen sich keine weiteren<br />

Kinder (ebd.).<br />

Hinter und neben diesem durchaus harmonischen Bild der „Familiengründung nach Plan“ stehen aber auch die<br />

jüngsten Mütter und Väter, deren Ausgangsbasis zu einem großen Anteil von Bildungsbenachteiligung geprägt<br />

ist. Unter den „frühen Müttern“ 30 haben fast 55 Prozent maximal einen Hauptschulabschluss, bei den „frühen<br />

Vätern“ liegt der Wert bei fast 49 Prozent (Cornelißen/Bien 2014, S. 11f.).<br />

Insgesamt ist also recht viel darüber bekannt, wie die Herkunftsfamilie den eigenen späteren Lebensentwurf der<br />

Jugendlichen mitbeeinflusst und wie hierbei die „gesellschaftliche Positionierung im sozialen Raum“ reproduziert<br />

wird (schon Bourdieu 1982; vgl. auch die PISA-Debatte der letzten Jahre oder Kessl u. a. 2007), nicht aber<br />

darüber, wie Jugendliche gemeinsam mit ihren Herkunftsfamilien den Prozess vom Erziehungs- zum Beziehungsverhältnis<br />

(d. h. Ablösungsverhältnisse aus dem intergenerationalen Erziehungszusammenhang) bewältigen.<br />

In älteren Studien aus den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurden solche „erwachsenen“ familialen<br />

Beziehungen in den Fokus gerückt. Gezeigt werden konnte damals, dass Verwandtschaftsbeziehungen insgesamt<br />

– auch bei geografisch relativ weit auseinanderliegenden Wohnverhältnissen – eine immense Bedeutung<br />

30<br />

Hierbei und bei den „frühen Vätern“ handelt es sich um das vom Lebensalter jüngste Zehntel aller Mütter oder Väter.

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