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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 286 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

zu sein“ gleichgesetzt und im Zuge dessen abgewertet (vgl. Abs. 3.4.4). Für die Fans selbst bietet diese Jugendszene<br />

ihren Anhängern und Anhängerinnen Optionen einer differenzierten Geschlechtersozialisation.<br />

Eine Besonderheit der Szene zeigt sich insgesamt in der kollektiven Selbststilisierung und Ästhetisierung. Verbreitet<br />

hat sich die Szene anfangs ausschließlich über das Internet, da zu Beginn der Jahrtausendwende aufgrund<br />

fehlender Lizenzverträge noch keine CDs japanischer Visual Kei-Musiker und Musikerinnen in Deutschland zu<br />

kaufen waren. Die Fans verschafften sich aus diesem Grunde über das Internet Zugang zur Musik und zur Mode<br />

der japanischen Szene (von Gross 2010). Die Manga- und Anime-Website Animexx.de war lange Zeit der zentrale<br />

virtuelle Treffpunkt, heute vernetzen sich Visuals bzw. Visus, wie sich die Fans selbst nennen, stärker über<br />

Soziale Netzwerke (von Gross 2010, 2016). Durch die eigenständige Etablierung von Online-Treffpunkten hierzulande,<br />

schufen die Jugendlichen selbst die notwendigen Strukturen für eine Entstehung der Szene in Deutschland<br />

– und damit auch neue Möglichkeiten des informellen Kompetenzerwerbs, indem sie beispielsweise Fanclubs,<br />

Modelabels und deutsche Visual-Kei-Bands gründeten (von Gross 2016).<br />

Eine weitere Szene, die online über einen Videokanal verbreitet wurde, ist die C Walk-Szene (Eisemann 2015).<br />

Es handelt sich dabei um einen Straßentanz, der seinen Ursprung in Los Angeles hat. „C“ steht für „Crip“, eine<br />

Gang, die mit den ihnen verfeindeten „Bloods“ zu bekannten Straßengangs in den USA gehören. Zugehörigkeit<br />

zur Szene symbolisieren die Gangs u. a. dadurch, dass sie Begriffe und Symbole mit den eigenen Füßen auf die<br />

Straße „zeichnen“. Hip Hop-Stars aus dem Kontext der Gangs sorgten mit ihren Performances für eine entsprechende<br />

Verbreitung des sogenannten „Crip Walk“ und „Blood Walk“. Heute präsentieren Jugendliche den C<br />

Walk weltweit über Videokanäle – und distanzieren sich von den Wurzeln des Straßentanzes. Sie schließen sich<br />

einer Crew aus mehreren Tänzern und Tänzerinnen an, tauschen Videos und „battlen“ im Wettstreit mit anderen<br />

online und inzwischen auch offline – dabei wird allerdings auch die aus der Forschung bekannte Dominanz von<br />

Jungen in Jugendszenen reproduziert (Eisemann 2015; Rohmann 2007).<br />

C Walker und Visual Kei stehen stellvertretend für andere Szenen, die sich im Internet gründen, das Internet<br />

intensiv zur Vergemeinschaftung nutzen und ihre Erfahrungen offline fortsetzen, in diesem Falle durch ihren<br />

Kleidungs- und Musikstil, bei der Entwicklung neuer Tanzstile, bei der Austragung von Wettbewerben usw. Die<br />

Zugangsschwelle zu den Szenen ist relativ gering, wenngleich sich auch hier Ausgrenzungen zeigen, die sich<br />

bei Jugendszenen insgesamt beobachten lassen und vor allem auf das Geschlecht und die Dominanz heteronormativer<br />

Orientierung zurückzuführen sind (vgl. Abs. 3.5).<br />

4.2.3.2 Fantum und Fanart<br />

Als Fans werden gemeinhin Menschen bezeichnet, die sich auf unterschiedlichen Ebenen intellektuell und vor<br />

allem emotional in ein Geschehen verwickeln lassen (Jenkins 1992, S. 56). Typisch für Fans ist, dass sie sich<br />

auf Inhalte der Massenmedien wie z. B. Musikbands, Film- und Fernsehproduktionen, Comics beziehen. Da es<br />

sich dabei in der Regel um populärkulturelle Produktionen handelt, wurden Fans in der Vergangenheit im öffentlichen<br />

Diskurs gern als „unreif“ oder „manipulierbar“ betitelt bzw. werden das teils auch heute noch. Im<br />

Unterschied hierzu konnte die Jugendkultur- und Fanforschung zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer Fanwelt<br />

heute Teil jugendlicher Lebensbewältigung ist. Jugendliche gehen in der Gemeinschaft emotionale Allianzen<br />

und außeralltäglichen Beschäftigungen nach, realisieren gemeinschaftlich expressive Identitätsmuster und setzen<br />

sich mit ihrer Lebenssituation als Heranwachsende auseinander (Winter 1997, S. 51) – sie positionieren sich<br />

über ihr Fantum und präsentieren sich unabhängig von Erwachsenen. In diesem Sinne wird die regelmäßige<br />

Aufnahme und Verarbeitung medialer Produkte nicht als ein Ausdruck von Passivität gewertet, sondern erscheint<br />

als eine Voraussetzung für Partizipation und die Entfaltung von Kompetenz (ebd.; Jenkins 1992, 2006b).<br />

Da die Fanaktivtäten Jugendlicher stark ausdifferenziert sind, liegen weder für den On- noch für den Offline-<br />

Bereich genaue Zahlen vor. Zur besseren Verdeutlichung konzentrieren wir uns daher im Folgenden auf ein<br />

Feld, zu dem dann auch einige Nutzungszahlen und explorative Studien vorliegen: Fanfiktion. Bei Fanfiktion<br />

handelt es sich um existierende Geschichten, die von Fans derselben weitererzählt, ausgeschmückt oder auch<br />

umgeschrieben und online veröffentlicht werden. Im internationalen Kontext ist Fanfiction.net die größte und<br />

bekannteste Website, über die Fanfiktions veröffentlicht, gelesen und kommentiert werden. Schätzungen gehen<br />

von etwa zwei Millionen registrierten Nutzern und Nutzerinnen aus, die in mindestens 30 verschiedenen Sprachen<br />

Geschichten auf der Plattform veröffentlichen. Das deutsche Pendant FanFiktion.de weist sich mit über<br />

350.000 Fanfiktion und 160.000 freien Arbeiten (ohne enge Vorlagen) als größte deutsche Plattform aus (Stand:<br />

Mai 2016). Laut einer Online-Befragung von 405 Personen auf fanfiction.de sind die meisten Nutzenden zwi-

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