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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 256 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Die Diskussion der Folge dieser Entwicklungsprozesse für die Erfahrungs- und Entfaltungsmöglichkeiten Jugendlicher<br />

ist bislang vor allem in Negativdiskurse um Benachteiligung und soziale Brennpunkte eingebettet.<br />

Im Kontext von Migration werden räumliche, soziale und ethnische Segregation neben verfügbarem kulturellem<br />

und sozialem Kapital als entscheidende Einflussfaktoren auf die intergenerationale Transmission von Armut<br />

diskutiert.<br />

Diskussionslinien, die außerdem mit regionalen Disparitäten in Verbindung gebracht werden, sind die Entstehung<br />

und Verbreitung von Jugendkriminalität und -gewalt in segregierten städtischen Räumen sowie die Zunahme<br />

rechtsextremer Tendenzen in peripherisierten ländlichen Räumen, vor allem in Ostdeutschland. Dabei<br />

erscheint eine differenziertere Perspektive sinnvoll, sollen durch den Blick auf den Zusammenhang von sozialer<br />

und regionaler Ungleichheit nicht Stigmatisierungen verfestigt werden, die Jugendlichen in peripherisierten oder<br />

segregierten Räumen a priori Defizite und problematische Entwicklungen unterstellen und sie lediglich als Opfer<br />

der vorgegebenen Möglichkeiten identifizieren (Schroer 2008). Empirische Befunde darüber, wie Jugendliche<br />

mit räumlichen Gegebenheiten in peripherisierten ländlichen und segregierten Stadträumen umgehen, sind<br />

jedoch bislang eher selten, wenngleich sich aktuell ein stärkeres Forschungs- sowie Politikinteresse (z. B. Programm<br />

und Forschungsfeld des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung „Jugend macht<br />

Stadt“ und Forschungsfeld „Jugendliche im Stadtquartier“) an der Perspektive der Jugendlichen selbst zeigt.<br />

3.8.2.1 Jugendliche in peripherisierten ländlichen Räumen<br />

Peripherisierung als Phänomen wird vor allem in Zusammenhang mit einer infrastrukturellen Abkopplung und<br />

Abwanderungsbewegungen aus strukturschwachen ländlichen Regionen in Verbindung gebracht. Wenngleich<br />

sich darauf bezogen unterschiedliche Entwicklungen innerhalb der Regionen ergeben und Jugendliche diese<br />

entsprechend in ganz verschiedenem Maße erleben, verweisen Forschungsbefunde doch auf einige zentrale<br />

Tendenzen.<br />

Institutionelle Gelegenheitsstrukturen: Schule und Vereine<br />

Häufig diskutiert und einschneidendste Folge für die Alltagsorganisation und -Gestaltungsmöglichkeiten Jugendlicher<br />

ist die Schließung und Zusammenlegung von Schulen, die in den letzten zehn Jahren in großem<br />

Ausmaß vorgenommen worden ist und nun ein ausgedünntes Schulnetz als Status quo im ländlichen Raum hinterlassen<br />

hat. Für Jugendliche ergeben sich daraus nicht nur zum Teil lange Fahrzeiten und schwierige Erreichbarkeiten<br />

(vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014; Sturzbecher u. a. 2012), sondern auch eingeschränkte<br />

Wahlmöglichkeiten schulischer Bildungsangebote und starke Unterschiede zwischen den Regionen<br />

(Budde 2007).<br />

Jugendliche thematisieren in diesem Zusammenhang zum einen die zeitlichen Belastungen und die mit den<br />

Mobilitätsanforderungen verbundenen Abhängigkeiten von Eltern oder dem öffentlichen Nahverkehr<br />

(Busch/Dethloff 2010; Tillmann/Beierle 2015). Problematisch sind für sie vor allem die Einschnitte in ihre frei<br />

verfügbare Zeit sowie die Koppelung ihrer Handlungsmöglichkeiten an Transportbedingungen. Sowohl die<br />

Angewiesenheit auf Schülertransporte, die zu festen Zeiten fahren und damit zum einen Wartezeiten produzieren<br />

und zum anderen weniger freie Gestaltungsmöglichkeiten lassen, als auch das Angewiesensein auf Erwachsene<br />

oder bereits mobile Freunde sind wichtige Themen für Jugendliche in ländlichen Räumen. Auch in der<br />

Studie von Ludwig (2016) wird thematisiert, wie sich Mobilitätsbedingungen und lange Schulwege zur deutlichen<br />

Einschränkung von individuell relevanten Handlungsräumen verdichten und Mobilitätsanforderungen<br />

damit für Jugendliche in einigen ländlichen Regionen zu einem lebenspraktischen Problem werden. Für Jugendliche<br />

ergeben sich daraus andere Anforderungen an ihre Verselbstständigung, da für sie daraus neue Planungsund<br />

Koordinierungsnotwendigkeiten erwachsen (vgl. Zeiher/Zeiher 1994), die nicht nur abhängig von ökonomischen,<br />

sondern auch von zeitlichen Ressourcen verfügbarer sozialer Netzwerke sind. Jugendliche müssen darüber<br />

hinaus lernen, mit ihrer Zeit sorgfältig umzugehen und inhaltliche Prioritäten zu setzen, da jede Aktivität<br />

außerhalb des nahen Wohnumfeldes eine längere Planung und ein Mehr an aufzuwendender Zeit bedarf.<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die bereits aufgeworfene, jedoch empirisch offene Frage, inwiefern<br />

sich an den aus den Mobilitätsanforderungen entstehenden „Zwischenräumen“ als „mobilen Orte[n] des<br />

Schülerlebens auf engstem Raum“ (Zinnecker 2008, S. 538), etwa in Schulbussen oder an Haltestellen, eigene<br />

jugendkulturelle (Frei-)Räume bilden und wie diese hergestellt und ausgestaltet werden.

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