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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 302 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

des Internets, während sinnes- und körperlich-motorisch Beeinträchtigten die Kommunikationsfunktion wichtiger<br />

ist (Aktion Mensch 2010, S. 44). Von digitaler Exklusion betroffen sind offenbar vor allem Personen mit<br />

Lernschwierigkeiten bzw. geistigen Beeinträchtigungen (ebd., S. 59ff.; Mayerle 2014, S. 7ff.). Als Gründe angeführt<br />

werden insbesondere materielles Kapital und ein erschwerter Zugang zu Informationen (Mayerle 2014,<br />

S. 7ff.). Erschwerend kommt für Jugendliche mit Behinderungen hinzu, dass sie „in einem durch Betreuung<br />

geprägtem Umfeld (leben), in dem eher die Risiken der Computertechnologie für Menschen mit kognitiven<br />

Beeinträchtigungen in den Vordergrund gestellt werden und die Unterstützung der digitalen Teilhabe nicht als<br />

ein Schwerpunkt der Förderung und Assistenz gesehen wird“ (ebd., S. 7). Auf weniger Vorbehalte trifft bei den<br />

Erziehungsberechtigten das Fernsehen. Dies wird in einer Studie deutlich, in der das Fernsehnutzungsverhalten<br />

von Schülerinnen und Schülern mit den Förderschwerpunkten Lernen sowie soziale und emotionale Entwicklung<br />

mit dem von Schülerinnen und Schülern von Regelschulen verglichen wurde (Funke 2007). Demnach<br />

verbringen Förderschüler und Förderschülerinnen signifikant mehr Zeit mit Fernsehen, schauen im Durchschnitt<br />

1,3 Stunden länger fern und nutzen häufiger Privatsender. Der in der Studie so bezeichnete Vielseher ist männlich,<br />

geht auf eine „Schule für Erziehungshilfe“ und hat einen eigenen Fernseher. Hinweise für eine stärkere<br />

extensive und unterhaltungsorientierte Mediennutzung bei Förderschülerinnen und Förderschülern finden sich<br />

auch im Sozialbericht der Bundesregierung von 2013. Allerdings werden auch hier Querlagen zu anderen Kategorien<br />

deutlich (Geschlecht, Bildung, Herkunft, sozio-ökonomische Verhältnisse). Deutlich wird dem Bericht<br />

ebenfalls, dass Menschen mit Behinderungen häufiger in armutsgefährdeten Haushalten leben, durchschnittlich<br />

häufiger arbeitslos oder nur geringfügig beschäftigt sind oder Leistungen der sozialen Grundsicherung beziehen<br />

(BMAS 2013b, S. 128ff.) als auch häufiger mit nur einem Elternteil zusammen leben (ebd., S. 74). Erwähnenswert<br />

ist dies vor allem, da aus der Medienforschung bekannt ist, dass neben dem sozio-ökonomischen Hintergrund<br />

auch das soziale Umfeld einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Nutzungsstilen hat und ein ressourcenärmeres<br />

Umfeld eine begrenztere, unterhaltungsorientierte und rezeptive Mediennutzung unterstützen<br />

kann. Hierzu liefert auch eine Studie zur Mediensozialisation von sozial benachteiligten Heranwachsenden in<br />

Österreich Hinweise (Paus-Hasebrink/Kulterer 2014). In dieser Langzeitstudie wurden 20 sozial benachteiligte<br />

Familien bezüglich ihres Mediennutzungsverhalten über sieben Jahre (2005 bis 2012) lang beobachtet und befragt.<br />

Problematisches Medienverhalten, so stellte sich heraus, war bei diesen Kindern vor allem ein Symptom<br />

prekärer Lebensbedingungen.<br />

Aktuell zeigt sich also in der Mediennutzung von Jugendlichen mit Behinderungen eine insgesamt mehrdimensionale<br />

Benachteiligung ab. Um teilhaben zu können, müssen Jugendliche einige Barrieren überwinden. Nach<br />

wie vor werden nur wenige Medien und Technologien barrierefrei entwickelt. Die Verordnung zur Schaffung<br />

barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV), die eine uneingeschränkte<br />

Nutzung der Informationstechnik ermöglichen soll, nimmt aktuell ausschließlich staatliche Stellen in<br />

die Pflicht. Für Jugendliche haben aber vor allem privatwirtschaftlich betriebene Informations- und Kommunikationsangebote<br />

Bedeutung. Da Deutschland sich in Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet<br />

hat, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderung den gleichberechtigten Zugang zu<br />

Information und Kommunikation einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen<br />

zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber aufgefordert, auch privatwirtschaftliche Anbieter in die Verantwortung zu<br />

nehmen. Darüber hinaus fehlt weiterhin die Förderung einer inklusiven Medienbildung, die verstärkt auch die<br />

gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe von Jugendlichen mit Behinderungen ermöglicht (Mayerle 2015).<br />

Deutlich machen die quantitativen Befunde, dass alle Jugendlichen das Internet neben der Informationsbeschaffung<br />

vor allem zur Pflege und Erweiterung ihres Freundschaftsnetzwerkes und im Kontext sozialer und jugendkultureller<br />

Praktiken nutzen oder nutzen möchten – und damit auch zur Bearbeitung der Kernherausforderungen<br />

des Jugendalters. Je nachdem, welche strukturell bedingten ungleichen Zugänge vorliegen und auf welche materiellen,<br />

kulturellen und sozialen Ressourcen sie zurückgreifen können, entfalten Jugendliche eher konsumorientierte<br />

und einseitige oder eher produktive und kreative Mediennutzungsstile. Differenzierte Zugänge zu Informationsquellen,<br />

Kreativität und Selbstbestimmung im Medienhandeln sind nach wie vor eher jenen vorbehalten,<br />

die aus ressourcenstärkeren Milieus stammen (Wagner/Theunert 2006; Kutscher u. a. 2009, vgl. Bosse 2017).<br />

Insbesondere für die Gruppe geflüchteter Jugendlicher, die Gruppe Jugendlicher mit Behinderungen als auch für<br />

Jugendliche in prekären Lebenskonstellationen zeichnet sich noch ein großer Forschungsbedarf ab. Deutlich<br />

wird bereits, dass diese Gruppen noch stärker vom First-Level-Digital Divide betroffen sind und ihre Teilhabe<br />

am Medienhandeln erschwert wird. Besonders berücksichtigt werden sollte auch, dass digital-vernetzte Medien<br />

für Flüchtlinge zusätzliche Funktionen erfüllen, da diese durch die Flucht nachhaltig von ihren sozialen und<br />

kulturellen Ressourcen abgeschnitten werden und (digitale) Medien von ihnen somit nicht nur zur Bewältigung

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