02.02.2017 Aufrufe

Kinderund

1811050

1811050

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Drucksache 18/11050 – 88 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Jugendpädagogik – so kann man Baum pointiert interpretieren – müsse auch eine Gewerkschaft für die Jugend<br />

sein, damit sie in der Jugend zu ihrem Qualifizierungsrecht komme.<br />

Wie intensiv die Industriegesellschaft das Leben der Jugendlichen prägte, zeigen auch empirische Jugendstudien<br />

in der Zeit der Weimarer Republik. Larzarsfeld, der z. B. 1931 eine Untersuchung zur Berufswahl von Jugendlichen<br />

vorlegte, konnte feststellen, dass die Berufswünsche der großstädtischen Jugend in ihrer statistischen<br />

Verteilung den ökonomischen Aufbau der Städte und bestehende Konjunkturschwankungen deutlich widerspiegeln.<br />

Lazarsfeld resümierte: Es wird einerseits ein Lebensalter konstruiert, in dem die Jugendlichen Qualifizierungen<br />

aufbauen und Entscheidungen treffen sollen, die für ihr ganzes Leben von größter Bedeutung seien.<br />

Andererseits würde – so könnte aus heutiger Sicht formuliert werden – das institutionelle Gefüge des Jugendalters<br />

nicht die Möglichkeiten bereitstellen, damit Jugendliche sich entsprechend vorbereiten könnten. Letztlich<br />

liefen diese Diskussionen darauf hinaus, dass es eines allgemeinen Jugendrechts bedarf (Lazarsfeld 1931).<br />

Doch die Position eines allgemeinen Jugendrechts konnte sich nicht durchsetzen. Es wurde auch in der Weimarer<br />

Republik kein „Rechtssystems für den gesellschaftlichen Teilbereich Jugend“ verabschiedet, das „durchaus<br />

vergleichbar mit der Entwicklung des Arbeitsrechts zur Regelung der Rechtsposition des Arbeitnehmers gegenüber<br />

Betrieb und Staat“ gewesen wäre. Wirklichkeit wurde ein „Jugendhilferecht, das den Maßnahmen von<br />

Erziehungsinstitutionen eine gesetzliche Grundlage geben sollte“ (Hering/Münchmeier 2000, S. 132f.). Mit dem<br />

Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922 galt dann in Deutschland zwar Jugend als ein per Gesetz der<br />

öffentlichen Förderung anvertrautes, nationales Gut. Dennoch wurde mit dieser Entwicklung in den 1920er<br />

Jahren auch der Pfad für eine protektionistische Jugendpolitik in Deutschland gelegt, der bis heute prägend ist.<br />

Hornstein resümierte 2004, dass sich die Position durchgesetzt habe, die „Jugendpolitik als Hilfepolitik für die<br />

Jugend verstanden hat“, denn ein Jugendhilfegesetz „ist immer noch besser […] als gar nichts“. So war „ein<br />

umfassendes Jugendgesetz […] politisch nicht durchsetzbar. Und seit der Zeit […] ist Jugendpolitik konzentriert<br />

auf diesen Aspekt der Hilfe, des Schutzes, und wenn man mal sieht, was in den letzten 100 Jahren in Bezug auf<br />

Jugend in Deutschland gemacht worden ist, da wird man sehen, welch große Bedeutung der Schutzgedanke hat.<br />

Deutschland hat eine im Grunde protektionistische Jugendpolitik, andere Zielsetzungen und Inhalte haben in<br />

dieser Politik kaum einen Platz. […] Im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz hat Jugend (als Jugendbewegung) keine<br />

Rolle gespielt, höchstens ein bisschen Pädagogisierung“ (Hornstein 2004, S. 47).<br />

Diese pädagogisch-protektionistische Lösung hängt eng mit den Kontrollvorstellungen und dem Bild von jungen<br />

Menschen zusammen, das sich erst nach und nach veränderte. Insgesamt überzeichnete, mit Bezug auf die<br />

Jugendbewegungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, ein nationales Jugendbild der „Kulturpubertät“ (Spranger<br />

1924) die soziale Demografie des Jugendalters, die in erster Linie durch Klassenunterschiede geprägt war<br />

(vgl. Bühler 1990). Aus diesem Blickwinkel wurde dann in den 1920er Jahren auch das Bild von der „amerikanischen<br />

Jugend“ (Diesel 1929) geboren. Konsum- und Freizeitorientierung von jungen Menschen wurden seither<br />

als Jugendphänomene kritisiert.<br />

Gleichzeitig wurde im Zuge dieser Diskussion auch immer wieder bis in die Gegenwart hinein über den kulturund<br />

gesellschaftskritischen Habitus der Jugend in der Zeit gestritten. So wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

das Bild einer Jugendgeneration gezeichnet, die antimodernistisch, kapitalismuskritisch und „jugendbewegt“ die<br />

existierende Gesellschaft ablehnte. Während der beiden Weltkriege wurden Jugendgenerationen konstruiert, die<br />

im Nachgang mal als verraten, kriegssehnsüchtig oder verblendet bzw. als antifaschistisch, widerstandskämpferisch<br />

und antinationalsozialistisch eingeordnet worden sind. Während der Nachkriegszeit finden wir in der Bundesrepublik<br />

dann die allseits bekannten Konstruktionen von den Halbstarken, der skeptischen Generation bis hin<br />

zu den 68ern, für die DDR wird unterschieden zwischen Aufbaugeneration, Integrierten und Distanzierten (vgl.<br />

Lindner 2003). Seit der Einführung des Internet wurden die politischen Generationslabels von den WWW-<br />

Labels abgelöst, das Netz bestimmt seither die Variationen von Jugendlichkeit: Netz-Generation und Generation@<br />

labeln diejenigen, die ins Internetzeitalter hineingeboren wurden, gefolgt von denen, für die nun X, Y, Z<br />

und das „Millennium“ reserviert worden ist.<br />

In der Folge dieser Bilder wurde aber häufig übersehen, dass es „ein Konzept von Jugend als Moratorium, als<br />

pädagogische Provinz und als produktive Entwicklungsphase, wie es in den Jugendtheorien von Rousseau<br />

(1762) bis zu Spranger (1924) seit der Wende des 18. Jahrhunderts beschrieben wurde“ in weiten Teilen des 20.<br />

Jahrhunderts „als Realität allenfalls für einen kleinen Kreis der bürgerlich akademischen, vor allem der männlichen<br />

Jugend“ gab. „Da die Mehrheit (mehr als 70 %) der Jugendlichen der 50er Jahre, ebenso wie in den ersten<br />

Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, mit 14 oder 15 Jahren die Volksschule abschloss, dann in die Berufswelt eintrat,<br />

dort in der Regel 48 Stunden in der Woche arbeiten musste und in der geringen frei verfügbaren Zeit auch

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!