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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 271 – Drucksache 18/11050<br />

der beruflichen Zukunft und der dafür notwendigen Qualifikation als Basis einer möglichen Verselbstständigung<br />

mehr und mehr die Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen und Entscheidungsprozessen in allen Lebensbereichen<br />

Jugendlicher. Anders formuliert: Insbesondere in der Jugendphase geht es zwar um Identitätsarbeit,<br />

um den Entwurf einer eigenen, individuellen Perspektive auf der Basis der bislang durchlebten Vergangenheit<br />

im Horizont der gegenwärtig anzutreffenden gesellschaftlichen Verfasstheit. Gefordert ist aber vor allem, über<br />

Verselbstständigungs- und Selbstpositionierungsprozesse Wege in ein eigenständiges Leben zu finden, sich<br />

dabei gleichzeitig zu qualifizieren, das Projekt der eigenen Biografie zukunftsfähig zu entwerfen und Perspektiven<br />

zu entwickeln, die einen eigenen zukünftigen Platz in der Gesellschaft anvisieren.<br />

Gleichzeitig sind gegenwärtige Verselbstständigungs- und Selbstpositionierungsprozesse sehr eng verwoben mit<br />

den Vorstellungen und Erwartungen der Jugendlichen an ihre eigene Zukunft. Diese wiederum können sich<br />

immer nur auf der Basis bisheriger Erfahrungen der Jugendlichen und ihrer aktuellen Situation entwickeln. Damit<br />

sind es fortwährend die gegenwärtigen intersubjektiven Bezüge und die spezifischen Möglichkeitsräume als<br />

soziale, gesellschaftliche, kulturelle und räumliche Bedingungen, in die Jugendliche eingebettet sind, vor deren<br />

Hintergrund sich eine Zukunftsperspektive allererst entwickeln kann, die stets auch Orientierungspotenzial für<br />

gegenwärtiges Handeln besitzt.<br />

Maßgeblich ist dabei, vor welchem biografischen Bezugshorizont Entscheidungen getroffen werden können:<br />

Für welche Schule entscheide ich mich oder kann ich mich überhaupt entscheiden? Bereits hier werden Möglichkeitsräume<br />

für die Zukunft eröffnet oder verschlossen; welchen weiteren Qualifikationsweg schlage ich ein<br />

oder kann ich überhaupt einschlagen? Auch hier werden Weichen gestellt, die Zukunftsprojekte ermöglichen<br />

oder begrenzen; nehme ich für meine Qualifikation eine Abwanderung aus meinem nahen Umfeld in Kauf,<br />

sodass Zukunftsprojekte auch Peereinbindungen und Partnerschaften beeinflussen können; oute ich mich als<br />

lesbisch oder schwul oder könnte dies meine beruflichen Zukunftsperspektiven gefährden; ist zukunftsbezogenes<br />

Handeln überhaupt eine relevante Kategorie vor dem Hintergrund aktuell zu bewältigender Lebens- und<br />

Alltagsprobleme; bin ich etwa über Familie oder Peergroup in soziale Zusammenhänge eingebettet, in denen<br />

zukunftsbezogene Themen zum Gegenstand sozialer Interaktionen werden, die Orientierungen bieten; wie<br />

schätze ich überhaupt meine Möglichkeiten ein, Zukunftswünsche in die Realität umzusetzen; oder ganz profan:<br />

Verbringe ich mehr Zeit mit meinen Freunden oder lerne ich lieber für die Schule, um meine Qualifikation nicht<br />

zu gefährden und mir größere Zukunftsoptionen zu sichern? All dies sind Fragen, mit denen Jugendliche in<br />

ihrem Alltagsleben konfrontiert sind und zu denen sie sich irgendwie verhalten müssen.<br />

Entscheidend dafür ist auch das raum-zeitliche Erleben der Jugendlichen, d. h. wie Jugendliche ihre Jugend<br />

erleben, sowie die daraufhin entworfene Handlungsorientierung zum Erreichen des Erwachsenenstatus (Transitionsorientierung)<br />

bzw. zum Verbleib in der Jugendphase (Reinders 2007). Ausgegangen wird hierbei davon,<br />

dass gerade im Jugendalter beide Zeithorizonte bedeutsam sind: Einerseits erscheint die Jugend im Hier und<br />

Jetzt bei positiver Bewertung als ein Umstand, in dem Jugendliche möglichst lange verbleiben wollen, andererseits<br />

werden mit zunehmendem Alter Zukunftsfragen relevant, die mit dem Gegenwärtigen vermittelt werden<br />

müssen. Aber diese Orientierungen sind wiederum abhängig von den bisherigen Erfahrungen und der aktuellen<br />

Lebenssituation der Jugendlichen sowie den Unterstützungsmechanismen in ihrer Sozialwelt, die ihnen zuteilwerden<br />

(können) oder nicht.<br />

Innerhalb der Jugendforschung wird seit Langem darauf verwiesen, dass sich ein direkter Zusammenhang zwischen<br />

der sozialen Positionierung und der Einschätzung von gesellschaftlichen und individuellen Zukunftsaussichten<br />

von Jugendlichen herstellen lässt. Mehr noch: Zukunftsängste werden davon direkt beeinflusst, d. h. im<br />

„Zukunftsbezug der Identitätsarbeit bzw. in den diesen zugrunde liegenden Entwürfen und Projekten, wird ein<br />

kreatives biografisches Element wirksam, das sich auf die selbstgestalterischen Möglichkeiten des Individuums<br />

bezieht. Diese subjektive Komponente, die auch Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit bedeutet, steht<br />

jedoch in einem Wechsel- bzw. Spannungsverhältnis mit gesellschaftlich Strukturiertem und objektiven Gegebenheiten,<br />

die Zugänge eröffnen oder verwehren“ (Maschke/Stecher 2009, S. 155). Hieraus ergibt sich, dass<br />

sich jugendliche Identitätsarbeit im Hier und Jetzt als „Arbeit an der Zukunftsplanung“ immer den realen Gegebenheiten<br />

angleicht, die vorgefunden werden.<br />

Auf diese Zusammenhänge und Abhängigkeiten hat auch Wellgraf (2012) in seiner Untersuchung zu Berliner<br />

Hauptschülern hingewiesen, indem er aufzeigt, wie stark die Zukunftsentwürfe der Jugendlichen von dem Bewusstsein<br />

geprägt sind, dass ihre gegenwärtige Situation nur sehr eingeschränkte Handlungsspielräume eröffnet,<br />

um Zukunftsprojekte zu entwerfen. Ihre Zukunftsentwürfe, die sich um einen Ausbildungsplatz, einen sicheren<br />

Beruf, ein festes Einkommen und eine eigene Familie ranken, sind „Ausdrucksformen von sozialen Situationen,

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