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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 243 – Drucksache 18/11050<br />

tivierten Kriminalität unterliegt dabei auch regionalen Besonderheiten: in einzelnen Bundesländern machten<br />

diese Delikte bis zu drei Viertel der politisch motivierten Kriminalität aus. In Bundesländern, in denen demografische<br />

Analysen zu Tatverdächtigen im Bereich der „politisch motivierten Kriminalität“ aus den Jahren 2013<br />

und 2014 vorliegen, zeigt sich, dass in ca. ein Drittel aller registrierten Fälle rechts motivierter Straftaten gegen<br />

junge Menschen unter 21 Jahren ermittelt wurde. Dies macht nochmals deutlich, dass Rechtsextremismus und<br />

rechte Gewalt in unserer Gesellschaft kein Jugendproblem, sondern Ausdruck der Verbreitung von individuellem<br />

wie strukturellem Rassismus in der Gesellschaft sind.<br />

Auch anhand der personalen Struktur der rechten Szene wird erkennbar, dass Rechtsextremismus und rassistische<br />

Gewalt keine Jugendphänomene sind. So zählten die Bundesbehörden im Jahr 2014 rund 22.000 Personen<br />

zur extremen Rechten und davon 7.500 als Angehörige rechter Jugendkulturen und anderer jugendlicher Gruppen<br />

(Schedler 2016, S. 346). Gegenüber Anfang der 1990er Jahre hat sich ihre Zahl damit jedoch noch deutlich<br />

erhöht (ebd.).<br />

In verschiedenen Regionen Deutschlands schließen diese Gruppen an die Dominanz fremdenfeindlicher Positionen<br />

in den 1990er Jahren sowie an eine starke Präsenz rechter Jugendszenen in dieser Zeit an. Sowohl die<br />

Ereigniszusammenhänge um die NSU-Morde als auch teils breit getragene rassistische Proteste machen – ebenso<br />

wie empirische Studien zur Verbreitung von Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit als Einstellungen<br />

(z. B. Zick u. a. 2011; Decker u. a. 2014) – deutlich, dass Rechtsextremismus in der Bundesrepublik<br />

gegenwärtig nicht als Jugendproblem zu beschreiben ist. Rechtsextreme Strukturen, ebenso wie die weit darüber<br />

hinaus verbreiteten rassistischen Deutungen, sind gesamtgesellschaftliche Phänomene. Gleichwohl ist bspw.<br />

von den Mitgliedern der Terrorgruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt, dass diese Mitte der<br />

1990er Jahre im Klima eines offenen Rassismus Teil einer dominanten rechtsorientierten Jugendkultur waren<br />

(vgl. Herdeegen 2016; Quent/Schulz 2015), wie sie in dieser Zeit in einigen ost- und westdeutschen Regionen<br />

bestand.<br />

Während bis Anfang der 2000er Jahre diese Szenen starke wissenschaftliche und pädagogische Aufmerksamkeit<br />

genossen und Gegenstand vielfältiger Initiativen der politischen Bildung wie auch zivilgesellschaftlichen Engagements<br />

waren, wurden diese Formen der Beobachtung und Bearbeitung im letzten Jahrzehnt schrittweise eingestellt.<br />

Die Ausdifferenzierung rechter Szenen, der Aufbau verbandlicher Strukturen und die Entwicklung<br />

antiplural-völkischer Bewegungen wurden damit nur in Einzelfällen zum Gegenstand von Beobachtungen (z. B.<br />

Wamper u. a. 2010; Virchow 2011). So stellen sich auch jugendliche Lebenswelten im nationalistischvölkischen<br />

und rechten Spektrum gegenwärtig hoch differenziert dar und reichen von organisierten Gruppen mit<br />

hohem Gewaltpotenzial und rechtsextremer Ideologie bis zu rechtsaffinen Musikfans, die sich durch spezifische<br />

Männlichkeitsideale, die Akzeptanz von Ungleichheitsideologien, nationalistische Diskurse und Selbststilisierungen<br />

als ästhetische Rebellen und Vertreter freiheitlicher Werte auszeichnen (vgl. Agentur für soziale Perspektiven<br />

2015). Kennzeichnend für die jüngere Entwicklung rechter Jugendszenen in der Bundesrepublik ist<br />

neben der nationalistischen Ausrichtung vor allem ein massives Gewaltpotenzial, das sich in einem sprunghaften<br />

Anstieg rechtsextremer Straftaten im Jahr 2015 dokumentiert. Erscheinungsformen dieser Gewalt reichen<br />

von gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen nationalistisch eingestellter Hooligans über Brandanschläge<br />

auf geplante Unterkünfte für geflüchtete Menschen bis hin zu Angriffen auf einzelne Personen.<br />

3.6.5 Politische Ausdrucksformen Jugendlicher zwischen Anerkennung und Entwertung<br />

Über alle bisher beschriebenen Engagementbereiche und Artikulationsformen hinweg wird deutlich, dass benachteiligte<br />

Jugendliche in prekären Lebenslagen am seltensten involviert sind und ihr Alltagshandeln nur in<br />

geringem Maße mit politischem Handeln in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig werden Jugendliche mit<br />

geringen Qualifikationen, in Armut oder Arbeitslosigkeit als für extreme Ideologien anfällig und damit als potenziell<br />

politisch deviante Gruppe konstruiert (für die Rechtsextremismusforschung z. B. Frindte u. a. 2016).<br />

Auch Studien zu den politischen Implikationen der ästhetischen Ausdrucksformen von benachteiligten Jugendlichen<br />

zeigen, dass diese keineswegs als unpolitisch charakterisiert werden können (Calmbach/Borgstedt 2012).<br />

Eine solche Perspektive, die politischen Ausdruck zunächst einmal abrückt von mehr oder weniger elaborierten<br />

Sprachcodes und konventionellen Handlungsformen, wird den Möglichkeiten dieser Jugendlichen, sich auf die<br />

Gesellschaft und Aspekte ihres Lebensalltags zu beziehen, deutlich besser gerecht. In den Blick geraten dadurch<br />

unterschiedliche Praktiken des ästhetischen Selbstausdrucks, wie etwa Kleidungsstile oder Musikpräferenzen,<br />

über die Jugendliche ihre Haltungen zu Gesellschaft und Lebenswelt transportieren. Dabei werden weder Poli-

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