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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 216 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

sche Zugehörigkeit ein zentrales Moment der Selbstdefinition ist, die auch über gewaltförmige Handlungen<br />

Abgrenzungen gegenüber andersethnischen Gruppen demonstrieren (vgl. Eckert 2012, S. 141ff.). Ähnliche<br />

Belastungsfaktoren und Erfahrungen fehlender positionaler (Teilhabe an materiellen und kulturellen Gütern),<br />

moralischer (rechtliche Gleichheit und der gerechte Ausgleich widersprüchlicher Interessen) sowie emotionaler<br />

(Zuwendung und Aufmerksamkeit in sozialen Beziehungen) Anerkennung (Huber/Rieker 2015) werden jedoch<br />

generell für die Erklärung jugendlichen Gewalthandelns in Anschlag gebracht.<br />

In diesem Sinne ist jugendliche Gewaltausübung in Peergroups auch als Moment gemeinschaftlichen (wenn<br />

auch: unangemessenen) Bewältigungshandelns zu betrachten, in dem gemeinsam geteilte biografische Erfahrungen<br />

von Ohnmacht und Missachtung, von fehlender Anerkennung und Sinnstiftung vor allem in familialen,<br />

aber auch in schulischen Settings über Gewaltausübung kompensiert werden (vgl. Sutterlüty 2002; Projektgruppe<br />

Mannopoly 2012). Anerkennung wird hier nach eigenen Gruppenregeln vergeben. Jugendliche in gewaltaffinen<br />

Peergroups betonen, dass sie gerade aufgrund ihrer Gewaltausübung von den anderen geschätzt werden<br />

(Sitzer 2009, S. 87ff.). Insbesondere mit Perspektive auf Mehrfachtäter zeigt sich, dass sich in jugendlichen<br />

Gewaltkarrieren neben einer biografisch bedingten Handlungsneigung auch intrinsische Motive finden, indem<br />

Jugendliche über die eigene Gewaltausübung die Motivation für weitere Gewalttaten ziehen, weil sie damit<br />

Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, machtvollem Handeln und eigener Stärke verbinden (vgl. Sutterlüty 2004).<br />

Zudem können jugendliche Gewaltausübung und delinquentes Handeln auch als Ausdrucksformen jugendkultureller<br />

Einbindungen und Distinktionsstrategien betrachtet werden, indem sich z. B. Hooligans oder Skinheads<br />

über gewaltaffine Orientierungen definieren oder Ausdrucksformen der Graffiti-Szene rechtlich oft als Sachbeschädigung<br />

definiert werden, wenngleich die jeweiligen Ausprägungen in den je konkreten Gruppen graduell<br />

sehr unterschiedlich sein können (vgl. Möller 2015).<br />

Auch und gerade Gewalt und Delinquenz in Peergroups verweisen darauf, dass Gruppennormen und -<br />

dynamiken sowohl gesellschaftlich als auch familial anerkanntes Verhalten unterstützen oder auch mit diesem<br />

konfligieren können, sodass informelle Gruppen immer auch in ihrer Funktion als Kontrollraum für angemessenes<br />

und als Schutzraum für grenzüberschreitendes Verhalten (Schrader 2015) betrachtet werden müssen, die je<br />

nach Gruppenzusammensetzung unterschiedliches Gewicht erlangen können. Peergroups als eigenständige<br />

Handlungs- und Kommunikationsräume besitzen insgesamt eine immense Bedeutung für die Bewältigung biografischer<br />

Herausforderungen, gesellschaftlicher Erwartungen und Übergänge im Jugendalter, indem sie in sehr<br />

unterschiedlicher Weise gruppenspezifisch Orientierungen vermitteln, Deutungsangebote zur Selbstpositionierung<br />

bereithalten und (phasenweise) Grenzüberschreitungen, aber immer auch Anpassungsprozesse ermöglichen.<br />

3.3.3 Jugendliche in Freundschaftsbeziehungen<br />

Neben den eher lockeren Beziehungsnetzwerken der informellen Gruppen sind mit zunehmendem Alter auch<br />

sogenannte „engere“, d. h. intensivere Freundschaften als Plattformen des wechselseitigen intimeren Austauschs<br />

für Jugendliche relevant, in denen Selbstoffenbarung und Vertrauen die Grundlage der Beziehung darstellen<br />

(vgl. Krüger 2016). Diese können zum Teil auch in informelle Gruppen integriert sein. Dabei stellen vor allem<br />

entwicklungspsychologische Untersuchungen fest, dass Freundschaftskonzepte von Jugendlichen und deren<br />

Perspektiven auf ihre konkreten Freundschaften sich mit dem Alter verändern. Während für jüngere Jugendliche<br />

vor allem die Frage von Dauerhaftigkeit und gemeinsamer Konfliktbewältigung im Zentrum steht, betrachten<br />

ältere Jugendliche Freundschaften immer mehr auch unter der Perspektive von Abhängigkeiten und schätzen<br />

Freundschaften dann, wenn mit ihnen ein nonverbales exklusives Verstehen einhergeht (vgl. Selman 1984; Valtin<br />

2009; Köhler 2015). Intensive Freundschaften im Jugendalter sind für Jugendliche vor allem als Möglichkeitsraum<br />

relevant, wechselseitig Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen und gemeinsamen Interessen<br />

nachzugehen. Wichtig sind intensivere Freundschaften für Jugendliche insbesondere als Orte der gemeinsamen<br />

Bewältigung ähnlicher Lebensprobleme, der Bestätigung der eigenen Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen<br />

und Interessen, aber auch der kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung über diese (Köhler 2015). Intensive,<br />

länger andauernde Freundschaften bieten damit noch stärker als die Einbindung in diffusere informelle Gruppen<br />

die Möglichkeit, über wechselseitige Anerkennung ein positives Selbstbild zu entwickeln und fehlende Anerkennung<br />

und Unterstützung innerhalb der Familie oder der Schule zu kompensieren.<br />

Dabei werden solche Freundschaftsbeziehungen tendenziell von männlichen und weiblichen Jugendlichen unterschiedlich<br />

ausgestaltet. Während Mädchen eher auf eine kommunikative Ausgestaltung der Freundschaftsbe-

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