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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 228 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

kation, Interaktion und Selbstdarstellung mithilfe von Webangeboten ein Kernelement bzw. eine Begleiterscheinung<br />

jugendkultureller Szenen sein. Jugendkulturen konstituieren sich dabei aktuell sehr viel grundlegender<br />

mit und über Medien als in der Vergangenheit (vgl. Hugger 2014). „Jugendliche leben in mediatisierten<br />

Welten und verlagern ihr kommunikatives Handeln in digitale Medien wie Social Networks oder Onlinerollenspiele<br />

hinein [und] verleiben sich digitale Medien und insbesondere portable konvergente Medien wie das Mobiltelefon<br />

buchstäblich ein“ (Krotz/Schulz 2014, S. 36, 38, vgl. Kap. 4).<br />

Medien werden und sind identitätsrelevant, indem sie einerseits dazu verhelfen, eigene Zugehörigkeiten zu jugendkulturellen<br />

Gruppen darzustellen und andererseits Anerkennung durch andere zu ermöglichen. Das Internet<br />

erweist sich dabei als quasi „unüberschaubarer Möglichkeitsraum“, um sich mit einem ganz spezifischen Webangebot<br />

präsentieren, inszenieren, stilisieren, orientieren und vergemeinschaften zu können (vgl. Hugger 2014,<br />

S. 21). Inzwischen wird davon ausgegangen, dass eine „internetbasierte Identitätsarbeit“ (vgl. Vogelgesang<br />

2014) zu beobachten ist, die sich in eigenen Praxisformen manifestiert. Hierzu gehören Selbstpräsentationen auf<br />

persönlichen Homepages (vgl. Alexander 2002; Schmitt u. a. 2008), Internet-Tagebücher (vgl. Lüders 2007b;<br />

Reichmayr 2005), Podcasting (vgl. Mocigemba 2008), Chats (vgl. Peter/Valkenburg 2008), Spiele-Communities<br />

(Bohrer/Schwarz-Boenneke 2009), Online-Rollenspiele (vgl. Becker 2004; Kirchhoff 2008), virtuelle Gemeinschaften<br />

(Eck 2011; Hartling 2011), Foto- und Filmportale (Richard u. a. 2010) bis hin zu verschiedenen sozialen<br />

Netzwerk-Portalen (vgl. Stegbauer 2011; Dittler/Hoyer 2012; vgl. auch Kap. 4).<br />

Gerade der Zusammenhalt und die bewusste Zugehörigkeit (zu) einer jugendkulturellen Praxisform sind daher<br />

als sozialisatorisch und identitätsstiftend, als „bewusste Formen des Lernens und Wissensmanagements“ (Lorig/Vogelgesang<br />

2011), resp. als „geheimes Bildungsprogramm in Jugendszenen“ (Hitzler 2004) beschrieben<br />

worden. Dies umso mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich Jugendkulturen und Jugendszenen als nahezu<br />

„freie“ Räume konstituieren, d. h. frei von denjenigen Erwachsenen, die ansonsten den jugendlichen Alltag<br />

(mit-) bestimmen, wenn auch eingebettet in die jeweils gegebenen gesellschaftlichen Grenzen und Möglichkeiten.<br />

Unklar bleibt, ob sich Jugendkulturen und -szenen nach wie vor milieuspezifisch ausprägen, wie das insbesondere<br />

bis in die 1980er-Jahre der Fall war (sog. „Subkulturen“, vgl. hierzu auch die frühen Arbeiten von Baacke<br />

und Ferchhoff). Viele der Jugendkulturforscherinnen und -forscher konstatieren, dass sich über die Vergemeinschaftung<br />

entlang von Interessen milieuspezifische Ausprägungen nivellieren würden. Zudem finden sich<br />

in den Stilbildungsprozessen neuerer Jugendkulturen tendenziell seltener Schichtabhängigkeiten (wie etwa bei<br />

der LAN- oder der Techno-Szene), sondern anstelle einer Milieugebundenheit bzw. sogenannter „Herkunftsabhängigkeit“<br />

(wie bei Punkern oder Poppern in den 1980er Jahren) treffen wir eine individuelle Interessenorientierung<br />

und Vergemeinschaftungsprozesse über bestimmte Musik oder Moderichtungen, Sport etc. an. Allerdings<br />

sprechen auch einige Studien der Jugendkulturforschung dafür, dass sich hier eine neue Dimension sozialer<br />

Ungleichheit offenbart, ist doch die Art und Weise der hegemonialen Kultur in globalere Differenzierungsprozesse<br />

eingebunden, d. h. es werden zwar die kulturellen Praxisformen dehierarchisiert, nicht aber die Einbindung<br />

in überkommene soziale Strukturen, die keineswegs verdrängt, sondern auch über die Medien pluralisiert<br />

werden (vgl. Lorig/Vogelgesang 2011). So arbeitet etwa Hoffmann (2016) für die Techno-Szene Milieuunterschiede<br />

bei den Protagonistinnen und Protagonisten heraus, die sich in den jugendkulturellen Praxisformen niederschlagen.<br />

Soziale Ungleichheiten spiegeln sich auch und gerade in Jugendkulturen wider, wenn auch zum<br />

Teil in subtileren Mechanismen.<br />

Verschoben hat sich auf jeden Fall das Verhältnis der Geschlechter in Jugendszenen, das noch bis in die 1990er-<br />

Jahre im Kontext der jugendkulturellen Forschung etwas eigenwillig (weil männlich fokussiert) diskutiert worden<br />

ist: Neuere Studien zeigen, dass es im Horizont der Jugendkulturforschung darum gehen muss, Genderkonstruktionen<br />

und damit einhergehende jugendkulturell-spezifische Praxisformen zu erforschen (vgl. etwa<br />

Schrader/Pfaff 2013), die bislang weitestgehend ausstehen. Innerhalb der Jugendszenen existieren nach wie vor<br />

solche, die eindeutig weiblich oder männlich dominiert, geschlechterspezifisch konnotiert und besetzt sind (wie<br />

etwa die Beauty-Gurus, eine mädchendominierte Szene oder die Ultras, die als männlich-dominierte Szene gilt,<br />

vgl. Jugendszenen.com; Projektgruppe Mannopoly 2012). Es zeigen sich aber auch – vor allem medial vermittelte<br />

– Szenen (z. B. Online-Rollenspieler), die über „genderswitching“ oder „genderswapping“ eigene (geschlechtliche)<br />

Identitätserfahrungen und -experimente und damit auch neue Wahrnehmungen des Selbst ermöglichen<br />

(Vogelgesang 2014).<br />

Besonders bedeutsam neben den optisch identifizierbaren Stilelementen (Kleidung, Frisuren, Musik, Sprache)<br />

zur Inszenierung einer Jugendkultur oder -szene ist die damit untrennbar verknüpfte Körpererfahrung: Jede<br />

Jugendkultur und jede Jugendszene schreibt sich in den Körper ein und hinterlässt dort Spuren, da die Stilelemente<br />

selbst über den Körper transportiert und inszeniert werden, sie wird zu einer Leiberfahrung – ob es nun

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