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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 273 – Drucksache 18/11050<br />

4 Das digital-vernetzte Leben Jugendlicher<br />

Die Alltags- und Erfahrungswelten Jugendlicher und junger Erwachsener stehen im Zeichen eines tief greifenden<br />

sozialen und kulturellen Wandels, auf den die Digitalisierung und Technisierung maßgeblichen Einfluss<br />

nimmt. Erwachsene beobachten diesen Wandel oftmals kritisch, für Jugendliche hat sich die Situation nie anders<br />

dargestellt. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive wird dieser Wandel mit dem Begriff der<br />

„Mediatisierung“ beschrieben und der aktuelle Mediatisierungsschub als „Digitalisierung“ bezeichnet. Demnach<br />

sind immer mehr Orte sowie Formen der Kommunikation von digitalen Medien durchdrungen und Strukturen,<br />

Abläufe, Freizeit, Erwerbsarbeit und Konsum, Identitäten, soziale Beziehungen, gesellschaftliche Institutionen<br />

und Ungleichheitsverhältnisse entwickeln sich zusammen mit den Medien und der darauf bezogenen Kommunikation<br />

stetig weiter (Krotz 2001, 2007). Der technische Vernetzungs- und kommunikative Verdichtungsgrad<br />

nimmt hierbei immer weiter zu.<br />

Medien sind in diesem Prozess nicht nur Bedeutungstransporteure oder Kommunikationskanäle, sie nehmen<br />

auch selbst Einfluss und beeinflussen durch ihre Verfasstheit das Handeln von Menschen. Sie hinterlassen Spuren<br />

(Krämer 1998), prägen die Kommunikation und Handlung, disziplinieren und zwingen Menschen zu Dingen<br />

(Latour 1996). Ein Beispiel liefert die SMS, die nur eine begrenzte Anzahl an Wörtern zulässt oder ein Soziales<br />

Netzwerk, das eingeschränkte Möglichkeiten zur Selbstdarstellung eröffnet. Digitale Medien bzw. Technologien<br />

sind demnach auch selbst „Akteure oder genauer Beteiligte am Handlungsverlauf, die darauf warten, eine Figuration<br />

zu erhalten“ und tragen somit ihren Teil zur Veränderung des Kommunikationsprozesses bei (Latour<br />

2007, S. 124, H. i. O.). Sie können „ermächtigen, ermöglichen, anbieten, ermutigen, erlauben, nahelegen, beeinflussen,<br />

verhindern, autorisieren, ausschließen und so fort“ (ebd.).<br />

Digitale Grenzarbeiter und Grenzarbeiterinnen<br />

Jugendliche gestalten in Anwendung und Aneignung von digitalen Medien und Technologien den kulturellen<br />

und sozialen Wandel einerseits aktiv mit; sie werden gleichzeitig aber auch gezwungen, die Ermöglichungs- und<br />

Disziplinierungsdimensionen von Medieninhalten und Technologien in ihr Leben zu integrieren. Medien sind<br />

somit in allen sozialen Bereichen nicht nur als anzueignende Inhalte, Geräte oder technische Netzwerke allgegenwärtig,<br />

sondern haben selbst befähigende und disziplinierende Potenziale, die das Handeln beeinflussen.<br />

Die Besonderheit der digital-vernetzten Medien besteht nun vor allem darin, dass sie klare Raum- und Zeitbegrenzungen<br />

aufheben, nicht-hierarchisch und nicht-linear strukturiert sind, selbst neue Effekte entfalten bzw.<br />

emergieren (z. B. Selfies, Smart Mobs, digitale Spiele) und immer häufiger auch eigendynamisch agieren (Jörissen<br />

2014). Sie stehen damit häufig im Widerspruch zu tradierten Strukturen wie der Schule und Familie, die von<br />

Jugendlichen weiterhin mit Nachdruck eine lineare Ordnung und Verbindlichkeit einfordern (Jörissen/Münte-<br />

Goussar 2015). Zeitgleich werden Jugendliche mit Grenzverschiebungen konfrontiert, vor allem zwischen Öffentlichkeit<br />

und Privatheit und Präsenz und Kopräsenz, aber auch zwischen Körper und Technik. Die Herausforderungen,<br />

die Jugendliche im Zuge dessen zu bewältigen haben, bezeichnen wir im Folgenden als „digitale<br />

Grenzarbeit“ – Grenzarbeit deswegen, weil Jugendliche aufgefordert sind, diametral entgegenstehende Funktionslogiken<br />

und gesellschaftliche Grenzverschiebungen auszubalancieren und sich weitestgehend eigenständig in<br />

der Netzwerkkultur und in kommunikativ stark verdichteten Räumen zu behaupten (vgl. auch Mangold 2016).<br />

Forciert wird diese Entwicklung dadurch, dass die digitale Grenzarbeit in einem durchkommerzialisierten Umfeld<br />

stattfindet, in dem sich die On-/Offline-Räume vielfältig durchdringen und die Nutzung technischer Dienste<br />

immer mehr von Gegenleistungen abhängig ist. Uneingeschränkt teilnehmen können Jugendliche nur, wenn sie<br />

persönliche Daten preisgeben (z. B. Mail- und Telefondaten, Bewegungsdaten, Körperdaten, beziehungsbezogenen<br />

Daten, Konsumdaten, biometrischen Daten), die nicht nur Rückschlüsse auf Konsumabsichten, Gesundheit,<br />

politische Einstellungen, Qualifizierungen etc. zulassen, sondern auch dazu genutzt werden können, um<br />

Vorhersagen über zukünftige Zustände und Entwicklungen im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, bei der<br />

Kriminalitätsbekämpfung etc. zu treffen. Intensiviert wird die Datensammlung und -verarbeitung dadurch, dass<br />

diese zunehmend automatisiert stattfindet und immer mehr Dinge des Alltags mit Sensoren und Datenschnittstellen<br />

ausgestattet sind („Internet der Dinge“). Noch ist daher nicht abzusehen, welche Auswirkungen „digitale<br />

Jugendsünden“ zukünftig auf sowohl individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene haben werden.<br />

Wie sich die Kommunikationsumgebungen und damit auch -praktiken Jugendlicher in den digital-vernetzten<br />

Medien gewandelt haben, wird im Folgenden in Abs. 4.1 skizziert. Der Wandel eröffnet Jugendlichen einerseits<br />

neue soziotechnische Möglichkeitsräume und Optionen, die sie vor allem zur Bearbeitung der Kernherausforde-

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