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Drucksache 18/11050 – 310 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

4.3.6 Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte und menschenverachtende Ideologien<br />

Die digitalen Medien erleichtern Jugendlichen den Zugang zu allen erdenklichen Informationen, so auch zu<br />

entwicklungsbeeinträchtigenden, diskriminierenden Inhalten und gruppenbezogenen menschenverachtenden<br />

Ideologien. Angesprochen sind damit grundlegende Fragen des Jugendmedienschutzes, dessen Ziel es ist, Medieninhalte<br />

aufgrund ihres Gefährdungspotenzials zu beurteilen und deren öffentliche Verbreitung zu regeln,<br />

Kinder und Jugendliche aber zeitgleich auch präventiv in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen,<br />

insbesondere durch die Förderung von Medienkompetenz. In einer Gemengelage unterschiedlicher verfassungsrechtlicher<br />

Schutzpflichten und entgegenstehenden Grundrechten von Kindern, Eltern, Medienproduzentinnen<br />

und -produzenten sowie Medienanbietern, stellt sich die Ausgestaltung des Jugendmedienschutzes bis heute als<br />

komplex und anspruchsvoll dar: „Staatliche Jugendschutzmaßnahmen dürfen nicht unverhältnismäßig in deren<br />

Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG), in die Presse-, Film- und Rundfunkfreiheit (Art. 5<br />

Abs. 1 S. 2 GG) sowie in die Kunst-, Eigentums- oder Berufsfreiheit eingreifen (Art. 5 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1,<br />

Art. 12 Abs. 1 GG).“ (Dreyer 2013, S. 68). Zu überprüfen ist daher regelmäßig, an welchen Stellen die Schutzziele<br />

ohne Grundrechtsbeeinträchtigungen verbessert oder wo der Grundrechtsschutz Betroffener ausgebaut<br />

werden kann.<br />

Der aktuelle Schwerpunkt im Jugendmedienschutz wird bei technischen Schutzvorkehrungen und der Altersklassifizierung<br />

gesetzt, deren Wirksamkeit angesichts einer fehlenden internationalen Kennzeichnung, der Globalität<br />

und Übermacht einiger agierender Medienakteure, der starken Ausdifferenzierung der Mediengeräte und<br />

Diensteanbieter, der Konvergenz der Medien und der zunehmenden Bedeutung von Kommunikation und Interaktion<br />

umstritten sind. In Bezug auf Jugendliche zeichnet sich zudem ab, dass diese immer mehr selbst aktiv<br />

werden und durch eigenes Handeln oder das Handeln Dritter in risikobehaftete Situationen gelangen und<br />

Schutzregeln mit zunehmendem Alter an Bedeutung verlieren, sodass der Selbstschutz zunehmend wichtiger<br />

wird (vgl. Glaser u. a. 2017). Hier stellt sich die Frage, wie viel Jugendlichen zugemutet werden kann; diese<br />

Überlegungen betreffen sowohl den Bereich der Pornografie und Gewalt als auch extremistische Inhalte. Welchen<br />

Zugang haben Jugendliche zu diesen Inhalten, vor denen sie geschützt werden sollten? Welchen Einfluss<br />

(auf sich und andere) schreiben sie den Inhalten selbst zu?<br />

4.3.6.1 Pornografie und Gewalt<br />

Das Internet wird vor allem für die kommerzielle Verbreitung von Pornografie und pornografischen Elementen<br />

verantwortlich gemacht. 2012 machte der Aufruf von Pornografie nach Schätzungen des Berichts eines Onlinemagazins<br />

etwa 30 Prozent des gesamten Datenverkehrs im Netz aus (Anthony 2012). Der Zuwachs an unzulässigen<br />

Inhalten spiegelt sich auch in den Zahlen von jugendschutz.net wieder: „Waren 2004 etwa 4.000 Angebote<br />

auf Jugendschutzverstöße kontrolliert worden, lag das Sichtungsvolumen zehn Jahre später bei über 30.000. Die<br />

Zahl der dokumentierten Verstöße gegen Jugendschutzbestimmungen wuchs im selben Zeitraum von 1.700 auf<br />

8.000 an“ (Glaser u. a. 2017). Vor allem im Bereich von Sozialen Netzwerken und Messengern haben die Kontaktrisiken<br />

zugenommen.<br />

In Bezug auf das Medienhandeln Jugendlicher hat vor allem eine Online-Videoplattform Furore gemacht, auf<br />

der sowohl professionelle als auch amateurhafte Pornofilme gezeigt werden. Das Interesse an Pornografie (bzw.<br />

Sexualität) und der Plattform hat der Gruppe von Jugendlichen bald das Etikett „Generation Porno“ eingetragen.<br />

Alsbald wurde eine sexuelle Verrohung der Gesellschaft diagnostiziert. Diese große Verantwortung, die den<br />

Medien zugeschrieben wird, ist empirisch allerdings nicht haltbar. Weder lässt sich eine Tendenz zu früherem<br />

Sex bei Jugendlichen beobachten – hier sind die Zahlen seit 2005 eher rückläufig, noch nehmen Teenagerschwangerschaften<br />

und Abtreibungen zu. Zudem verhüten Jugendliche heute auch häufiger (Heßling/Bode<br />

2015; Statistisches Bundesamt 2016d sowie Klein 2017).<br />

Im Unterschied zu diesen Behauptungen präsentieren sich Jugendliche gelassener und distanzierter und entwickeln<br />

teils auch alternative Interessen zur herkömmlichen Mainstreampornografie (Döring 2013, S. 318ff.,<br />

S. 326). Etwa zwei Drittel aller 11-bis 17-Jährigen hat Erfahrung mit Pornografie im Internet; es sind vor allem<br />

Jungen, die mehr oder weniger regelmäßig Pornos rezipieren. Sie erleben diese zuvorderst erregend, nutzen sie<br />

in der Jugend-Clique aber auch dazu, um Souveränität im Umgang mit (auch außergewöhnlichem) Sex zu demonstrieren<br />

und sich der eigenen Normalität zu vergewissern (Matthiesen 2012, S. 70). Bei Mädchen sind es<br />

nahezu immer vereinzelte Kontakte zur Pornografie. Sie möchten mitreden können und genießen es, gemeinsam

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