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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 85 – Drucksache 18/11050<br />

1.2.1 Generationale Lage: Von „den Jugenden“ zurück zur Jugend<br />

In den vielfältigen Diskursen um die Jugend und die junge Generation, so wurde bereits festgestellt, gibt es<br />

keinen einheitlichen Zugang zum Begriff der Jugend oder der „Jugend-Generation“. Darüber können auch die –<br />

zu Beginn angesprochenen – teilweise medial inszenierten Versuche, die Jugendlichen heute als „Generation Y“<br />

(Hurrelmann/Albrecht 2013) oder als „Generation Z“ (Scholz 2014) und damit als Nachfolgegeneration der<br />

„Generation X“ oder der „pragmatischen Jugendgeneration im Aufbruch“ (Shell Deutschland Holding 2015)<br />

bzw. „null zoff – voll busy“-Generation (Zinnecker/Geulen 2002) zu beschreiben, nicht hinwegtäuschen. Die<br />

Beschreibungen werden dem Alltagsleben der Jugendlichen nur wenig gerecht: „Allmählich betreten neue,<br />

ebenso selbst ernannte Experten die Bühne des Generationen-Hypes. Die (nächste) „Generation Z“ soll von<br />

1995–2005 (oder – wem’s gefällt – ruhig auch ein paar Jahre früher oder später) das Licht der Welt erblickt<br />

haben. Sie lebt übrigens quasi rein virtuell. Das ist schlecht für die Y-Experten, werfen nun erste Professoren<br />

mit Marktgespür ihre ‚Z’-Weissagungen auf den Markt“ (Schütz 2015).<br />

Ohnehin wird in der Jugend- und Generationenforschung davon ausgegangen, dass genau genommen eine Generation<br />

nur rekonstruktiv und erst im Vergleich zu anderen, zumeist älteren, Generationen tatsächlich adäquat<br />

beschrieben, identifiziert und eingeordnet werden kann (vgl. etwa schon Nave-Herz 1989). Doch diese Hinweise<br />

scheinen gerade im Markt erfolgversprechender Generationen-Metaphern seit der 68er-Generation nachrangig<br />

zu sein. Grundsätzlich suggerieren diese Metaphern, dass sie das „Lebensgefühl“ der jeweils jungen Generation<br />

erfassen. Sie wollen sagen, in welche Richtung die jungen Menschen die zukünftige Gesellschaft gestalten<br />

wollen oder sich gesellschaftlich integrieren werden. Es geht dabei um eine Vergewisserung der Erwachsenengeneration,<br />

wie die nachfolgende Generation den Übergang in das öffentliche Leben von Bildung, Beruf und<br />

Politik sowie das soziale Zusammenleben gestaltet. Brisant werden diese Metaphern, wenn sie als „principium<br />

medium“ (Mannheim) sozialen Wandels wahrgenommen und daraus politische Konsequenzen gezogen werden,<br />

weil die Jugend der Gegenwart als „virtuell lebend“, „karrieresehnsüchtig“ oder „durchgängig familienorientiert“<br />

dargestellt wird.<br />

Insgesamt haben Generationen-Metaphern nur eine geringe Aussagekraft über die Jugendgeneration. Sie erfassen<br />

nur wenig die Ausdrucksformen und das Alltagsleben der Jugendlichen einer Generation (vgl. unten). Sie<br />

beinhalten in erster Linie das Bild, das sich Ältere von den Jüngeren entwerfen wollen und zeigen, welche Erwartungen,<br />

Sehnsüchte und Hoffnungen an die junge Generation adressiert und welche Aufgaben ihnen zugeschrieben<br />

und zugemutet werden. Ist dieses Bild anschlussfähig an gesellschaftliche Diskurse, dann entsteht ein<br />

Label – wie Generation Y oder Z. Zugleich zeigt sich – quasi auf der Hinterbühne der Generationsetikettierungen<br />

– wie schnelllebig und wenig zielführend die Jugendlichen in ihr Erwachsenendasein „entlassen“ werden,<br />

nachdem sie diese Etikettierungen erfahren haben.<br />

Aus der Perspektive der Jugendlichen erleben diese dagegen ihre „Jugend“ neu. Sie gestalten ihre Jugend und<br />

treten biografisch in ein neues Lebensalter ein, indem sie mit den eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen<br />

an dieses konfrontiert werden. Doch ob diese Erwartungen neu sind, ob sich die generationale Lage der Jugendlichen<br />

heute von anderen Jugendgenerationen grundsätzlich unterscheidet, ob Jugendliche ihre Jugend heute<br />

anders gestalten und ob sie in einem anderen institutionellen Gefüge eingebettet sind, gilt es zu überprüfen.<br />

Die Idee, eine Generation sozialgeschichtlich zu erfassen, geht auf die Überlegungen von Mannheim (1928)<br />

zurück. Er wollte zur Zeit der „Jugendbewegung“ das „Problem der Generationen“ soziologisch ausloten und<br />

thematisierte die Schwierigkeiten – begrifflich wie analytisch – eine Generation zu identifizieren. Der Begriff<br />

„Generation“ verweist ursprünglich auf biologische Abstammungsfolgen, d. h. auf die anthropologische Tatsache,<br />

dass auf die Elterngeneration jeweils eine (ihre) Kindergeneration folgt. Mannheim versuchte, dieser biologischen<br />

Dimension eine sozialgeschichtliche hinzuzufügen, indem er zuerst die familiale Generationsabfolge<br />

von der biologischen Tatsache entkoppelte und eine gesellschaftliche hinzukonstruierte, sodass nunmehr der<br />

Blick auf „Ältere und Jüngere“, die zur selben Zeit leben, frei wurde. Daraus entstand die „Ungleichzeitigkeit<br />

des Gleichzeitigen“, d. h. der gesellschaftlich-analytische Entwurf, dass zur selben Zeit Menschen unterschiedlichen<br />

Alters mit differenten sozialgeschichtlichen Erfahrungsaufschichtungen (Mannheim nannte das die „lebensphasenspezifische<br />

Ereignisprägung“) in einer Gesellschaft existieren. Aus dieser Tatsache leitete Mannheim<br />

ab, dass sich eine ähnliche sozialgeschichtliche Lagerung der jeweiligen Geburtskohorte als Lebensgefühl ergäbe,<br />

da die etwa Gleichaltrigen dieselben historischen Ereignisse zur gleichen Lebenszeit erführen. So käme es,<br />

dass nicht nur ein und dieselben Ereignisse zur etwa gleichen Lebenszeit von den jeweiligen Geburtskohorten<br />

verschieden verarbeitet werden, sondern dass sich daraus eine Generation formiere, die „einen jeweils anderen

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