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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 241 – Drucksache 18/11050<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Protestgruppen<br />

Jenseits des Betriebs etablierter und rechtlich verankerter politischer Institutionen bieten Soziale Bewegungen,<br />

Nichtregierungsorganisationen und Protestgruppen als problembezogene Netzwerke Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen Perspektiven interessengeleiteter Teilhabe (vgl. Gaiser/Gille 2012). Die Sympathie junger Menschen<br />

für Umwelt-, Friedens- oder Frauenbewegungen, Tierschutzgruppen oder globalisierungskritische Netzwerke<br />

unterliegt dabei historischen Schwankungen bis hin zum Bedeutungsverlust oder Aufstieg einzelner<br />

Gruppen (z. B. Pfaff/Krüger 2006). Europaweit haben im Jahr 2010 etwa 15 Prozent der 15- bis 29-Jährigen<br />

Erfahrungen in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen gesammelt, seit 2002 ist dieser Anteil erheblich<br />

gestiegen (European Commission 2016, S. 240). Auch in der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich ein<br />

Zuwachs des Engagements junger Menschen in entsprechenden Gruppen: dort waren 2002 ca. 17 Prozent, im<br />

Jahr 2010 hingegen fast 25 Prozent der unter 29-Jährigen aktiv. Hierbei zeigen sich nur marginale Differenzen<br />

zwischen den Geschlechtern, zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie zwischen jungen Menschen<br />

mit und ohne Migrationserfahrung (vgl. Gaiser/Gille 2012). Relevante Bedingungen auf der Ebene der<br />

Einzelnen sind gleichwohl der Bildungsstand sowie das politische Interesse. Auf der Grundlage des Surveys<br />

AID:A aus dem Jahr 2009 deutet sich an, dass hierbei regionalen Initiativen, die sich für die Verbesserung konkreter<br />

Infrastrukturen und Lebensverhältnisse einsetzen, besondere Bedeutung zukommt: hier engagieren sich<br />

ca. zehn Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (ebd., S. 167). Umweltschutzgruppen bilden<br />

für etwa fünf Prozent der Altersgruppe Zusammenhänge der Teilhabe und Menschenrechtsgruppen, Friedensinitiativen<br />

und Globalisierungskritiker entsprechend weniger (2-4 %). Insgesamt waren damit ca. 16 Prozent der<br />

jungen Menschen in Sozialen Bewegungen und Protestgruppen aktiv (vgl. Gaiser u. a. 2016, S. 23).<br />

Auch jenseits einer regelmäßigen Mitwirkung junger Menschen in zivilgesellschaftlichen Gruppen bieten insbesondere<br />

soziale Bewegungen Anlass zur spontanen und punktuellen Teilhabe auf der Ebene einzelner Protestereignisse.<br />

Dies zeigt die hohe Beteiligung junger Menschen an Demonstrationen zum Erhalt von Bürgerrechten<br />

(z. B. „Freiheit statt Angst“ in Berlin), gegen die europäische Austeritätspolitik (z. B. „Blockupy“ in Frankfurt)<br />

oder gegen Asylrechtsverschärfungen (z. B. „Refugees Welcome“ bundesweit). Protestformen schließen dabei<br />

die beschriebenen unkonventionellen Aktivitäten ein, sie gelten als kreativ, aussagekräftig, sichtbar und offen<br />

für Interessierte und Unterstützerinnen und Unterstützer.<br />

Gleichzeitig sind Soziale Bewegungen und regionale Initiativen nicht automatisch gleichzusetzen mit Emanzipation<br />

und gesellschaftlichem Fortschritt. So gibt es vielfache Hinweise darauf, dass in einigen Regionen der<br />

Bundesrepublik rechtsradikale Gruppen die Strukturen der Zivilgesellschaft dominieren und dort als politisch<br />

dominante Bewegung fungieren, die auch die Interessen junger Menschen bedient (vgl. die Beiträge in Forschungsjournal<br />

Neue Soziale Bewegungen, 4/2008). Beispiele aus dem Alltagsleben eines hessischen Dorfes,<br />

aus der Kommunalverwaltung einer Gemeinde an der Ostsee und die Gemengelage aus lokaler politischer Kultur,<br />

öffentlichem Diskurs und Ausschließungsmechanismen in Berliner Stadtteilen zeigen, wie selbstverständlich<br />

junge Menschen neben Erwachsenen gestaltende Akteure und ahnungslose Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

entsprechender Strukturen sind. (ebd.)<br />

Jugendliche Protestszenen am Beispiel der Entwicklung rechtsextremer Szenen<br />

Teilweise verwoben mit einzelnen Sozialen Bewegungen sind in verschiedenen politischen Strömungen verankerte<br />

Protestszenen, die klare politische Agenden verfolgen und sich direkt entweder schützend oder abgrenzend<br />

auf den Staat sowie auf gegnerische Szenen beziehen. Je nach Standpunkt werden Protestszenen entweder der<br />

Jugendkultur oder der politischen Erwachsenenkultur zugeordnet, wobei die genaue ästhetische und aktivitätsbezogene<br />

Ausrichtung – ebenso wie die personelle Zusammensetzung entsprechender Szenen – sowohl regionalen<br />

als auch sozialhistorischen Bedingungen unterliegt (Roth/Rucht 2000). Junge Menschen sind in sozialen<br />

Bewegungen aktiv, einige Jugendverbände (wie etwa umweltschutzbezogene Gruppen o. ä.) sind mit gesellschaftskritischen<br />

jugendkulturellen Szenen eng verbunden und gehören ebenso zu einer linken Protestkultur wie<br />

antifaschistische oder autonome Szenen. Engagierte linksaffine Jugendliche kennzeichnet dabei eine meist differenzierte<br />

Gesellschaftskritik, die vor allem Ungleichheit und Teilhabedifferenzen in den Blick nimmt, das<br />

Bemühen um eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft sowie eine kritische Distanz zur parlamentarischen<br />

Demokratie (Hillebrand u. a. 2015, S. 196ff.). Zudem kann im linken politischen Spektrum kaum von einer<br />

organisierten jugendlichen Protestkultur gesprochen werden, auch wenn spezifische Bewegungen, wie die Antifa,<br />

eher von jungen Menschen getragen werden. Kollektiven Sozialformen kommt in jugendlichen Protestszenen<br />

eine hohe Bedeutung zu: spezifische politische Praktiken, wie z. B. Demonstrationen oder Protestaktionen,

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