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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 459 – Drucksache 18/11050<br />

denn je vor der Herausforderung, Sozialpolitik und Diversitätspolitik gleichermaßen zu sein. Das persönliche<br />

Leben von jungen Menschen in prekären Lebenskonstellationen lässt sich heute nicht mehr durch eine einzige,<br />

spezifische Benachteiligungskategorie fassen, die wiederum eine soziale Intervention oder Dienstleistung nach<br />

sich zieht.<br />

Diese eindimensionalen Formen der Kategorisierung führen zu Stigmatisierungen und können auch zu Selbststigmatisierungen<br />

führen. Gleichzeitig wird schon mit Blick auf junge Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen<br />

deutlich, wie weit der Weg noch ist, das Jugendalter dieser jungen Menschen nicht durch einen<br />

„Masterstatus“ zu verdecken (vgl. Abs. 7.3). Auch die gegenwärtigen Entwicklungen um ein inklusives SGB<br />

VIII rücken kaum die alltäglichen Bedarfslagen dieser jungen Menschen als Jugendliche und junge Erwachsene<br />

vor die Klassifizierung und damit vor die regulative und stigmatisierende Ordnung der Leistungsbewilligung.<br />

Die bisherigen Diskussionen tendieren vielmehr eher in die Richtung, Jugendliche und junge Erwachsene noch<br />

stärker und weiterhin zu klientelisieren.<br />

Noch komplexer stellt sich die Herausforderung, sofern man den Blick auf die geflüchteten Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen richtet. Gegenwärtig wird die Frage, wie sich das Jugendalter für diese jungen Menschen<br />

gestaltet und wie ihnen Jugend ermöglicht werden kann, durch ordnungspolitische Regulationen sowie sicherheits-<br />

und migrationspolitische Zugänge verdeckt. In der aktuellen Situation, in der weiterhin die tagespolitische<br />

Zuständigkeitsbewältigung u. a. in der Kinder- und Jugendhilfe noch immer im Vordergrund steht, stoßen<br />

die berechtigten Anmerkungen einiger Expertinnen und Experten sowie Verbände, dass auch diese jungen Menschen<br />

in erster Linie Jugendliche und junge Erwachsene seien, kaum auf Widerhall. Nichtsdestotrotz ist zu fragen,<br />

welche Jugend diesen jungen Menschen ermöglicht wird und welche nachhaltigen Folgen es haben wird,<br />

wenn weiterhin vor allem auf eine ordnungspolitische Regulation gesetzt wird und gefragt werden muss, wie sie<br />

vor rassistischen und diskriminierenden Übergriffen geschützt werden können.<br />

Auch diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden, ob es gewollt wird oder nicht, mit den Qualifizierungs-,<br />

Verselbstständigungs- und Selbstpositionierungsprozessen dieser Gesellschaft konfrontiert. Die Frage<br />

ist, welche Handlungsspielräume ihnen geboten werden. Dabei wird sich auch die Frage stellen, inwieweit geflüchteten<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Jugend in transnationalen Verflechtungen ermöglicht<br />

wird und wie sie auch darin unterstützt werden, ihre persönlichen Beziehungen über die nationalstaatlichen<br />

Grenzen hinaus zu realisieren. Zugleich ist kaum diskutiert, wie mit den Folgen der gegenwärtigen asyl- und<br />

migrationspolitischen Regulationen umgegangen werden soll, die u. a. wiederum auch dazu führen, dass junge<br />

Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Zu dieser zusätzlichen Herausforderung – junge Menschen<br />

ohne Aufenthaltsrechte – fehlt es in den sozialen Diensten an einem überzeugenden systematischen Zugang.<br />

Dennoch ist die Lebenslage geflüchteter Jugendlicher und junger Erwachsener nur ein, allerdings ein eindrückliches<br />

Beispiel dafür, dass Jugend und das persönliche Leben Jugendlicher heutzutage heterogener geworden<br />

und durch vielschichtige ineinandergreifende und sozial folgenreiche Besser- und Schlechterstellungen gekennzeichnet<br />

ist. Ein Masterstatus „Behinderung“, „Migrationshintergrund“, „Fluchterfahrung“ mag öffentlich die<br />

sozialen Dienste legitimieren und politisierbar sein, aus dem Alltagsleben des Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

ist dieser Status häufig langfristig mehr Bürde als soziales Zugangsrecht, auch wenn er im Jugendalter<br />

trotz des „Etikettierung-Ressourcen-Dilemmas“ die sozialen Leistungen grundlegend sichert. Insbesondere die<br />

geflüchteten Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind eine hoch heterogene Gruppe von jungen Menschen,<br />

die gegenwärtig in eine politische Containerkategorie gefasst und stigmatisiert werden. Hier hat Jugendpolitik<br />

mittelfristig darauf hinzuwirken, dass sie zunächst als Jugendliche und junge Erwachsene anerkannt werden, die<br />

ebenfalls ein Recht auf Jugend haben.<br />

Insgesamt wird aber auch deutlich, dass kaum etwas über die Nachhaltigkeit der sozialen Dienste im Jugendalter<br />

und jungen Erwachsenen im weiteren Lebensverlauf bekannt ist. „Jugend ermöglichen“ bedeutet im Zusammenhang<br />

prekärer Lebenskonstellationen – wie Leiprecht es im Kontext einer diversitätsorientierten Perspektive<br />

einfordert – die „subjektiven Möglichkeitsräume“ zu erkennen, in der das Wirken der körperlichen,<br />

sozialen und kulturellen Selbst- wie Fremdbestimmungen im Jugendalter aber auch ihre in sich konflikthaften<br />

wechselseitigen Bezüge sichtbar werden können. Dabei sei es „der jeweilige Umgang mit diesen Bedingungen<br />

und Bedeutungen […], der diesen Möglichkeitsraum verändert“ (Leiprecht 2008, S, 40). Leiprecht verweist<br />

gerade auch auf die Spannungen und die unterschiedlichen institutionellen und sozialen Prozesse, die im Alltagsleben<br />

der Jugendlichen und junge Erwachsenen in den prekären Lebenskonstellationen zusammenwirken<br />

und die alltägliche Lebensbewältigung der Jugendlichen bestimmen.

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