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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 484 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

prekären Lebenskonstellationen wird. Es ist die gerechtigkeitspolitische Nagelprobe der Sozialund<br />

Jugendpolitik, ob dies gelingt.<br />

Durchgehend wurde in diesem Kinder- und Jugendbericht deutlich, dass die Veränderungen des Jugendalters in<br />

den Diskussionen um die Gestaltung der sozialen Dienste und der Sozialpolitik bisher kaum Berücksichtigung<br />

gefunden haben. Es ist eine grundlegende Sensibilisierung der sozialen Dienste für die alltäglichen Herausforderungen<br />

von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erforderlich sowie eine Vergewisserung, wie die sozialen<br />

Dienste die Kernherausforderungen – Qualifizierungs-, Selbstpositionierungs- und Verselbstständigungsprozesse<br />

– des Jugendalters mitgestalten. Die sozialen Dienste und insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe<br />

sind ein fester Bestandteil im institutionellen Gefüge des Aufwachsens und hier vielfältig mit den Bildungsinstitutionen,<br />

aber auch mit Betrieben und zivilgesellschaftlichen Akteuren verbunden. Ohne die ausdifferenzierte<br />

Struktur der sozialen Dienste ist das institutionelle Gefüge des Aufwachsens gegenwärtig in seiner Regelstruktur<br />

nicht vorstellbar.<br />

Augenblicklich erscheint eine stärkere sozialpolitische Rückbindung der sozialen Dienste im Jugendalter erforderlich.<br />

Zum Beispiel sind Jugendliche in den Hilfen zur Erziehung häufig in Armutslagen aufgewachsen. Mit<br />

anderen Worten: Prekäre Lebenskonstellationen gehen oft mit Armutslagen einher. Dies gilt ähnlich auch für<br />

Teile der jungen Menschen mit Behinderung. Auch die inklusive Beschulung hat bisher keine Debatten darüber<br />

ausgelöst, was unternommen werden soll, damit Behinderung nicht weiterhin zu einem zusätzlichen Armutsrisiko<br />

wird.<br />

Bisher wird nur unzureichend den sozialen Ungleichheiten im Aufwachsen von jungen Menschen begegnet.<br />

Dies bedeutet auch, dass die Entwicklung von inklusiven Sozialen Diensten nicht mit Zuständigkeitsklärungen<br />

enden kann, sondern diese eigentlich erst der Ausgangspunkt sind, um eine diversitätssensible Sozial- und Bildungspolitik<br />

des Jugendalters zu entwerfen, die an den Lebenslagen und den alltäglichen sozialen Chancen und<br />

Barrieren der jungen Menschen anknüpft. Hier ist intensiv eine neue Diskussion zu beginnen, die junge Menschen<br />

mit Behinderungen ebenfalls zunächst als Jugendliche und junge Erwachsene mit allen Rechten und auch<br />

Herausforderungen betrachtet.<br />

Auch in den gesundheitsbezogenen Diensten wird immer deutlicher, dass eine verengte Perspektive auf das<br />

Jugendalter allein als biophysisch-zentrierte Adoleszenz kaum den alltäglichen Herausforderungen von Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen angemessen gerecht wird. Es sind darum z. B. erste Ansätze einer Transitionsmedizin<br />

oder Transitionspsychiatrie weiterzuentwickeln, in denen die Gesundheit von jungen Menschen stärker<br />

im Kontext ihrer Lebenslagen und soziale Übergänge z. B. im jungen Erwachsenenalter gesehen werden. Hier<br />

hat der 13. Kinder- und Jugendbericht bereits entscheidende Hinweise für eine salutogenetisch begründete Perspektive<br />

in den gesundheitsbezogenen Diensten sowie der Kinder- und Jugendhilfe gegeben, die aber für das<br />

Jugendalter bisher nicht systematisch entfaltet wurden.<br />

Zudem ist zu diskutieren, ob nicht viele Phänomene, wie z. B. hohe Abbruchquoten im Jugendalter in den Hilfen<br />

zur Erziehung, zu wenig vor dem Hintergrund der Veränderungen im Jugendalter diskutiert werden. In diesem<br />

Kontext ist es nicht weiterführend, wenn die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung eher eine klientelisierende<br />

Perspektive betont und vor allem die Diagnostik der zu „behandelnden“ Phänomene ausdifferenziert<br />

wird, anstatt sozialpolitische und sozialpädagogische sowie integrierte Ansätze zu stärken. Auch eine Orientierung<br />

an den ICF-Kategorien (vgl. Kap. 7) würde diese Tendenz der Klientelisierung verstärken.<br />

Im Jugendalter sind vor allem auch Hilfen erforderlich, die – ausgehend von dem individuellen Rechtsanspruch<br />

auf Hilfe – an der sozialen Bewältigungslage des Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ansetzen und zurückhaltend<br />

mit diagnostischen Zuschreibungen umgehen, wie es mit der Hilfeplanung im SGB VIII bisher zumindest<br />

angelegt war. Entsprechend sind bei den Hilfen zur Erziehung nicht nur die Elemente wie „Entwicklung“<br />

und „Teilhabe“ vorzuhalten, sondern insbesondere mit Blick auf das Jugendalter auch deutlich partizipatorisch<br />

orientierte, sozialpädagogische Zugänge und Hilfen zu betonen. Eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe steht<br />

hier ebenfalls organisatorisch vor der Herausforderung, Institutionalisierungs- und organisationale Ausdifferenzierungsformen<br />

und Verfahren erneut zu hinterfragen und auch in der Angebotsstruktur von Hilfen neu von den<br />

Bedarfslagen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen flexibel auszugehen.<br />

Zudem ist es nicht tragbar, dass kaum Wissen verfügbar ist, wie junge Menschen, die in öffentlicher Verantwortung<br />

aufgewachsen sind oder zeitweise intensiv begleitet oder betreut wurden, ihr Leben nach der Hilfe weiter<br />

gestalten konnten und welche beruflichen, gesundheitlichen und sozialen Möglichkeiten sie nach der Hilfe hatten.<br />

Die Etablierung einer sozialen Nachhaltigkeitsperspektive – einschließlich einer entsprechenden Forschung<br />

zur Nachhaltigkeit der angestrebten Gesetzesreform und insbesondere der Hilfen zur Erziehung – in der Be-

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