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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 202 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

und Autoren zu der Einschätzung, dass die Beziehungsqualität zu den Eltern „stark von der sozialen Herkunft<br />

(abhängt). Im Vergleich zu 2002 hat sich dieser Zusammenhang verstärkt (…)“ (Leven u. a. 2015, S. 53). Denn<br />

hierüber werde deutlich, „wie stark die Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern in Deutschland<br />

von der finanziellen Situation und dem Bildungsgrad der Eltern abhängen. Ganz offensichtlich können die unvermeidlichen<br />

Konflikte und Spannungen, die sich gerade in der Zeit der Pubertät häufen, besser geregelt und<br />

abgebaut werden, wenn die Wohnsituation gut, die wirtschaftliche Lage angenehm und die Bildungsressourcen<br />

hoch sind“ (ebd.). Aus dieser Perspektive werden die differenten Bedingungen des Aufwachsens für Jugendliche<br />

unterschiedlichen sozialen Hintergrunds zum wiederholten Male deutlich. Ein Teil der Jugendlichen wächst<br />

in einer „prekären Lebenswelt“, so die Bezeichnung in der SINUS-Studie 2012 und auch 2016, auf und äußert<br />

dabei eine „idealisierte Vorstellung von Familie“, die „kaum etwas mit dem zu tun hat, was die Jugendlichen<br />

tatsächlich erleben“ (Calmbach u. a. 2012, S. 177).<br />

Dass Jugendliche aus wirtschaftlich schwächeren Milieus dennoch Ressourcen zum Gespräch bei Problemen<br />

haben, zeigt der Befund, dass Jugendliche – unabhängig ihrer Schichtzuordnung – ähnlich häufig (73 bis 83 %)<br />

„öfter/immer“ mit Freunden und Freundinnen darüber reden können (Gensicke 2010, S. 229). In der prekären<br />

Lebenswelt sind dann, so noch einmal der Befund der SINUS-Studie, „Freunde ‚wie Familie‘“ und die Ausgrenzung<br />

als Außenseiter oder Außenseiterin mit sozialem Rückzug eine potenzielle Gefahr (Calmbach u. a. 2012,<br />

S. 186). Allerdings zeigt sich in der SINUS-Studie 2016 auch, dass die Familienorientierung kein belastbares<br />

Item zur Differenzierung von „Typen“ (mehr) ist, da allen kreierten SINUS-Lebenswelttypen eine familienorientierte<br />

Haltung bzw. die Wichtigkeit von Familie zugeschrieben wird. Im anderen Licht besehen birgt dieser<br />

„Pro-Familien-Trend-Befund“ jedoch eine erhebliche Gefahr: Gerade für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen,<br />

die in familial konflikthaften Beziehungen leben oder keinen Rückhalt in ihrer Familie haben, wird dies<br />

zum Verhängnis: Denn die Thematisierung solch fehlender familialer Beziehungen wird nicht nur verbal erschwert,<br />

sondern sie findet in einer Welt, in der es zum Selbstverständnis gehört, familiale Beziehungen zu<br />

aktivieren oder darauf zurückgreifen zu können, kaum mehr Gehör oder Verständnis. Denn es bleibt auch zu<br />

bedenken, dass nicht alle Jugendlichen selbstverständliche Unterstützungsleistungen durch die Eltern und in den<br />

Herkunftsfamilien erleben (können). Belastete Erziehungsbeziehungen zwischen Eltern und (ihren jugendlichen)<br />

Kindern, riskante Beziehungskonstellationen durch Trennung und Scheidung, ausweglos erscheinende<br />

Familienüberwürfnisse mit Familienmitgliedern der Großelterngeneration sind dabei ebenso mitzudenken wie<br />

Konflikte zwischen den erwachsenen Familienmitgliedern, die dazu führen können, dass Jugendliche vorzeitig<br />

ihre Herkunftsfamilien verlassen und vor dem 18. Lebensjahr andere Wege in ein eigenes Leben suchen müssen<br />

(vgl. hierzu insb. Kapitel 7). Inwieweit hierbei Unterstützungsleistungen durch Andere bedeutsam sind, bleibt<br />

weitestgehend unklar. Lediglich die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe, wie sie etwa in betreuten Wohnformen<br />

etabliert und diskutiert werden, geben ansatzweise Aufschluss darüber, wie diese Jugendlichen ihr eigenes<br />

Leben organisieren können.<br />

Mit zunehmendem Alter werden die Peers als wichtigste Bezugsgruppe bedeutsamer und fungieren als zentrale<br />

Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner – dies nicht nur mit Blick auf Mode, Frisuren, Freizeitaktivitäten<br />

und Alltagsdiskussionen, sondern auch, wenn es um Geheimnisse und individuelle Sorgen geht (vgl. Maschke<br />

u. a. 2013, S. 40ff.; Abs. 3.3.2).<br />

Die Großeltern sind für die Jugendlichen in der Mehrzahl ebenfalls zentrale Bezugspersonen, die trösten und<br />

Erziehungsratschläge geben – so die These der Autorinnen und Autoren (Maschke u. a. 2013, S. 33). Leben drei<br />

Generationen in einem Haushalt, so zeigt eine Regionalstudie im ländlichen Raum exemplarisch, findet sich<br />

dort eine signifikant stärkere Bedeutung von traditionellen Werten in der Familie (Stein 2013, S. 200). Allerdings<br />

schwindet diese Lebens- und Wohnform. Vergleichende Untersuchungen zeigen, dass die Wohnentfernungen<br />

zwischen der Eltern- und der Kindergeneration zunehmen (Motel-Klingebiel u. a. 2010, S. 196).

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