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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 258 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Desintegretationserfahrungen, soziale Homogenität und damit einhergehend Konformitätsdruck, Vertrauenslosigkeit<br />

in etablierte Parteien und die Entleerung zivilgesellschaftlicher Institutionen (Feuerwehr, Sportvereine)<br />

den Boden für rechtsextreme Tendenzen bieten und sich dies auch in signifikant höheren Werten auf der Skala<br />

gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, verstanden als Skala „individueller Einstellungen zur Abwertung<br />

schwacher Gruppen in der Bevölkerung“ (Heitmeyer 2014, S. 134), niederschlägt. Die lokal auf 3.700 Jugendliche<br />

der neunten Klassenstufe in Greifswald und der Uckermark begrenzte Studie von Dünkel und Geng (2014)<br />

kann etwa 40 Prozent Zustimmungen bei rechtsextremen und fremdenfeindlichen Einstellungen herausarbeiten,<br />

die im Vergleich zu Studien, die Jugendliche in westdeutschen Städten und Regionen in den Blick nehmen,<br />

deutlich höher liegen. Während diese Einstellungen nicht gleichzeitig mit Gewaltakzeptanz einhergehen müssen,<br />

ist aber die Hälfte der gewaltakzeptierenden Jugendlichen in der Studie auch affin gegenüber solchen Einstellungen<br />

(auch Pfaff/Krüger 2006).<br />

Insbesondere in Regionen, in denen rechte Jugendgruppen dominieren und alltagsweltlich präsent sind, entstehen<br />

gleichzeitig niedrigere Zugangshürden für Jugendliche zu diesen Gruppen (vgl. Quent/Schulz 2015). Latent<br />

vorhandene rechte Einstellungen fallen so zum einen auf einen fruchtbaren Boden und werden zugleich aufgrund<br />

dieser jugendkulturellen Monopolstellung mit hervorgebracht. Für Jugendliche mit andersartigen jugendkulturellen<br />

Orientierungen und politischen Einstellungen bedeutet dies einerseits, im nahen Wohnumfeld kaum<br />

gleichgesinnte Peers zu finden und andererseits, in einer Region zu leben, die für sie jederzeit zu einem Angstraum<br />

werden kann (vgl. Quent/Schulz 2015). Problematisch erscheint dabei vor allem, dass es aus Sicht andersdenkender<br />

Jugendlicher zumeist nicht nur die offenen, abwertenden Viktimisierungserfahrungen sind, sondern<br />

die normalisierende Haltung der Erwachsenen in den Regionen. Insbesondere die persönliche Bekanntheit der<br />

rechtsextremen Akteure führt laut der Studie von Quent und Schulz (2015) zu einer Trennung zwischen diesen<br />

und der Kategorie „Rechtsextremist“, die den konkret vorhandenen Rechtsextremismus normalisiert (ebd.,<br />

S. 195ff.).<br />

Neben dieser aktuell breit geführten Diskussion um Jugendkultur und Rechtsextremismus in schrumpfenden<br />

ländlichen Regionen betonen einige Studien auch die Einbindung Jugendlicher in Heimatvereine, traditionelle<br />

Feste und ländliches Brauchtum. Unabhängig von Schrumpfungsprozessen wird dies schon länger als wichtiger<br />

Aspekt jugendlicher Freizeitwelten in ländlichen Regionen verhandelt. Gerade in den immer dünner besiedelten<br />

Regionen (vgl. hierzu die Studie von Becker/Moser 2013, S. 40) geben über 50 Prozent der Jugendlichen an,<br />

dass ihnen Dorf- und Gemeindefeste wichtig sind. Vor allem ethnographische Studien zeigen, dass Jugendliche<br />

dabei die Vorgaben der Erwachsenenwelt nicht einfach übernehmen, sondern aktiv umdeuten und jugendkulturell<br />

als Möglichkeit sehen, Spaß zu haben und eine akzeptierte Gegenwelt zum dörflichen Alltag zu schaffen.<br />

Dabei sind sie jedoch stärker vor die Herausforderung gestellt, eine Balance zwischen jugendkultureller Autonomie<br />

und Integration in die Dorfgemeinschaft zu finden. Jugendliche scheinen auch aktiv, die soziale Akzeptanz<br />

von Brauchtümern in der Dorfkultur für sich zu nutzen, indem sie eigene „Brauchtümer“, etwa in Form von<br />

selbst organisierten, ritualisierten Partys, hervorbringen und im Dorf etablieren. „Dorfkultur ist immer zu guten<br />

Teilen selbst gemachte Kultur, und die Gruppe der Jugendlichen gehört zu den wichtigsten Akteurinnen“ (vgl.<br />

Krüdener/Schulze-Krüdener 2010, S. 302). Wenngleich diese Form selbstständiger Freizeitorganisation und<br />

Integration in die Dorfgemeinschaft als wichtiger Faktor jugendlichen Landlebens betont wird, stellt sich die<br />

Frage, inwiefern solche gemeinschaftlichen Aktivitäten vor dem Hintergrund ausgedünnter Peergelegenheiten,<br />

fehlender Jugendräume und zunehmender Erwachsenendominanz überhaupt möglich sind bzw. ob überhaupt<br />

ein „sozial nachhaltigeres“ Ziel damit verfolgt werden kann, da für viele Jugendliche der Weggang aus der Herkunftsregion<br />

nach dem Schulabschluss (insb. in ländlichen Regionen) keine Option, sondern aufgrund der Ausbildungssituation<br />

unausweichlich ist.<br />

Nicht nur eigenorganisierte Partys, sondern auch Disco- und Partybesuche im kommerzialisierten Rahmen sind<br />

für Jugendliche in ländlichen Regionen in stärkerem Maße eine Gelegenheit, sich mit Gleichaltrigen zu treffen.<br />

In der AID:A-Studie sind es etwa 17 Prozent der zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen in dünn besiedelten Landkreisen,<br />

die angeben, dies mehrmals oder mindestens einmal pro Woche zu tun, während dies nur auf<br />

neun Prozent der Jugendlichen aus Großstädten zutrifft. Für die Älteren, die 18- bis 25-jährigen Jugendlichen<br />

scheint dies dann aber in allen Regionstypen eine wichtige Freizeitoption zu sein, die von knapp 30 Prozent<br />

angegeben wird (AID:A II 2014, eigene Berechnungen).<br />

Aufgrund der aktuell schlechten Datenlage bleiben jedoch auch hier wichtige Fragen offen, die sich etwa auf die<br />

mögliche altersheterogene Gruppenzusammensetzung und zu überwindende Distanzen zu Freunden beziehen<br />

und darauf, welche Strategien Jugendliche entwickeln, mit diesen Rahmenbedingungen umzugehen. Verbunden<br />

damit sind auch Fragen nach den Handlungsmöglichkeiten Jugendlicher, die – wenn etwa kommerzialisierte

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