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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 402 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

tive Angebote zu unterbreiten. Die Bedeutung, die der Prävention bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme<br />

zugeschrieben wird, hat sich jedoch in der fachlichen und öffentlichen Diskussion noch einmal erhöht. So sind<br />

die Erwartungen an das, was Prävention leisten kann, gestiegen und auch der Zeitpunkt, wann Prävention ansetzen<br />

soll, hat sich weiter nach vorn in die frühe Kindheit verlagert. Die im Kern richtige Idee, Problemlagen früh<br />

zu erkennen und darauf bezogene Vorsorge zu treffen, wurde dabei in den vergangenen Jahren oft überzogen<br />

(Lüders 2011b). Dies spürt auch die Kinder- und Jugendarbeit, an die immer wieder auch Erwartungen, wie<br />

z. B. die intensivere Einzelbegleitung von Jugendlichen, herangetragen werden, die mit ihrem Auftrag und auch<br />

ihrer Ausstattung mitunter nicht vereinbar sind. Zugleich führt die Lebensweltnähe der Kinder- und Jugendarbeit<br />

fast unvermeidlich dazu, dass sie mit den verschiedenen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen konfrontiert<br />

wird und vor der Schwierigkeit steht, inwieweit sie diese Bedarfe selbst auffangen kann und soll, welche<br />

Ressourcen sie dafür braucht oder ob sie an andere Stellen und Dienste weitervermitteln muss. Beides bündelt<br />

Ressourcen und erst recht, wenn es so ist, wie viele Jugendzentren dies empfinden, dass sie für manche<br />

Jugendliche der einzige Ansprechpartner sind. Diese Nachfrage und die herangetragenen Ansprüche implizieren<br />

auch inhaltliche Veränderungen, sodass sich die Kinder- und Jugendarbeit in einer unübersichtlichen Gemengelage<br />

wiederfindet, bei der sie auch vor der Frage steht, was letztlich die Interessen Jugendlicher sind und ob und<br />

wie sie diesen angemessen nachkommen kann.<br />

6.5.1.3 Selbstorganisation und von Erwachsenen geprägte Strukturen<br />

Ein weiteres Spannungsfeld in der Kinder- und Jugendarbeit besteht – anknüpfend an das zuvor Beschriebene –<br />

zwischen von Erwachsenen vorstrukturierten Angeboten einerseits und Selbstorganisation Jugendlicher andererseits.<br />

Auch für dieses seit langem bestehende Spannungsfeld lässt sich an der allgemein gestiegenen Bedeutung<br />

des Themas Bildung eine neue Qualität skizzieren. So wurde das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen<br />

vermutlich noch nie so stark wie heute unter der Perspektive von Bildung, Lernen und Wissenserwerb<br />

betrachtet. Die Ausweitung des institutionalisierten Lernens (Stichwort Ganztagsschule), die Verkürzung des<br />

Gymnasiums, die Einführung der Master- und Bachelorabschlüsse und die Diskussion um non-formale Bildungsprozesse<br />

liefern einige Hinweise darauf. Die Kinder- und Jugendarbeit befindet sich in einem Dilemma:<br />

Auch wenn sie schon immer Bildungsangebote unterbreitet hat, scheint sie heute nicht mehr nur daran bemessen<br />

zu werden, wie gut es ihr z. B. gelingt, Orte zur Vergemeinschaftung und zur Selbstpositionierung zur Verfügung<br />

zu stellen, sondern daran, welchen unmittelbaren Nutzen sie für Kinder und Jugendliche erbringt bzw.<br />

welchen Beitrag sie leistet, damit Jugendliche und junge Erwachsene die Schule meistern können oder ihnen die<br />

Integration in den Arbeitsmarkt gelingt.<br />

Zugleich haben die Einrichtungen, Verbände und Organisationen der Kinder- und Jugendarbeit selbst auch ein<br />

Interesse, das eigene Bildungsverständnis und die Möglichkeiten, die sie für Bildungsprozesse bieten, bekannter<br />

zu machen, auch wenn dies schwieriger wird in einer Gesellschaft, die Selbstbildungsprozessen von jungen<br />

Menschen immer weniger vertraut. Und schließlich werden auch seitens der Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

selbst Erwartungen an sie herantragen – sei es nach ganz konkreten Bildungsangeboten, nach Unterstützung<br />

bei der Bewältigung der Anforderungen in Schule, Ausbildung und Studium oder nach Nachweisen und<br />

Zertifikaten der in der Kinder- und Jugendarbeit erworbenen Bildungsleistungen.<br />

Die Kinder- und Jugendarbeit erfährt somit von verschiedenen Seiten Erwartungen, die eine Veränderung der<br />

Art der Angebote in Richtung einer stärker von Erwachsenen vorstrukturierten Angebotspalette nahelegen.<br />

Lässt man sich als Einrichtung oder Verband beispielsweise darauf ein, neue Angebote zu unterbreiten, weil<br />

sich z. B. nur darüber dringend benötigte personelle Ressourcen erschließen, neue Zielgruppen gewinnen oder<br />

sich das Personal eher für diese Aufgaben motivieren lässt, auch wenn damit eine Veränderung der Ausrichtung<br />

der bisherigen Angebote verbunden ist? Empirische Befunde zeigen beispielsweise, dass immerhin 14 Prozent<br />

der Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit keinen offenen Treff haben (vgl. Seckinger u. a.<br />

2016a), obwohl deren Offenheit – sowohl bezogen auf die Zugänglichkeit als auch die inhaltliche Ausrichtung –<br />

ein zentrales Strukturmerkmal bildet. Eine Veränderung kann mit diesen Befunden nicht nachgezeichnet werden,<br />

aber Einrichtungen ohne ein offenes Angebot unterscheiden sich beispielsweise hinsichtlich ihrer strukturell<br />

verankerten Partizipationsmöglichkeiten und der Zahl der ehrenamtlich Engagierten (vgl. Seckinger u. a.<br />

2016a). Gibt es Verschiebungen in den Angeboten, kann eine Folge sein, dass Gelegenheiten und Orte der<br />

Selbstorganisation für Jugendliche weniger werden.

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