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Drucksache 18/11050 – 116 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

die Sicht junger Menschen – als Expertinnen und Experten in eigener Sache – als ein wesentlicher Bezugspunkt<br />

Eingang in den 15. KJB finden“ (BMFSFJ 2014, S. 2).<br />

Der Auftrag, die Sicht junger Menschen in angemessener Form zu berücksichtigen, eröffnet zwei Dimensionen,<br />

die sich aus unterschiedlichen Zugangslogiken speisen:<br />

– Aus demokratietheoretischer Sicht (vgl. oben) gehört es zu den wichtigsten Einsichten und zugleich größten<br />

Herausforderungen, alle Interessengruppen innerhalb einer Gesellschaft zu berücksichtigen, insbesondere,<br />

wenn es darum geht, die sozialen Lebensbedingungen einer ganz bestimmten Gruppe innerhalb einer<br />

Gesellschaft möglichst angemessen zu erfassen. Es ist eine der wichtigsten (und auch: demokratieförderndsten)<br />

Forderungen, diejenigen partizipieren zu lassen, die quasi direkt „betroffen“ sind, bzw. diejenigen<br />

teilhaben zu lassen, um die es eigentlich geht. Dafür existieren einige rechtlich gesicherte Formen und<br />

Möglichkeiten, angefangen vom Minderheitenvotum, Quotierungen und Mitbestimmungsregelungen über<br />

offene Aktionsformen (Petitionen, Unterschriftensammlungen, Foren, Demonstrationen, Gesprächskreise<br />

etc.) bis hin zum sogenannten „zivilen Ungehorsam“. Differenziert werden kann hier grundsätzlich danach,<br />

ob die Beteiligungsform institutionell und strukturell angelegt ist, auf etwas reagiert oder ob etwas aktiv<br />

eingebracht wird bzw. werden soll. Auch und gerade in einer politisch orientierten Sozialberichterstattung<br />

wie den Kinder- und Jugendberichten sind diese Formen der Beteiligung zumindest (indirekt) gesetzlich<br />

kodifiziert (§ 84 SGB VIII) und über die Zusammensetzung der Sachverständigenkommission (teilweise)<br />

eingelöst.<br />

– Aus forschungsmethodischer Sicht muss die Aufforderung nach der Berücksichtigung der „Sicht junger<br />

Menschen als Expertinnen und Experten in eigener Sache“ zuerst mehrfach gewendet werden, um sie konstruktiv<br />

aufnehmen zu können. Zunächst bleibt festzustellen, dass eine aufgeklärte empirische Jugendforschung<br />

(spätestens seit der „realistischen Wende“ in den 1960er Jahren) sicher nicht viel Anderes tun kann,<br />

als Jugendliche und junge Erwachsene als „Expertinnen und Experten in eigener Sache“ anzuerkennen und<br />

forschungsmethodisch auch so mit ihnen umzugehen. Gleichwohl sensibilisiert diese Forderung auch für<br />

eine kritische Durchsicht vorliegender Untersuchungsergebnisse: Wurden junge Menschen tatsächlich als<br />

„Expertinnen und Experten in eigener Sache“ befragt oder wurden sie als bloße Auskunftsinformandinnen<br />

und -informanden in die empirischen Studien einbezogen (als „Beurteilungstrottel“, die lediglich vorgegebene<br />

Antworten ankreuzen können, wie Garfinkel das Ende der 1960er Jahre pointiert formulierte (Garfinkel<br />

1967)? Wurden Aussagen, Meinungen und Einstellungsmuster mit ihnen oder über sie erhoben, weil<br />

etwa Erwachsene über Jugendliche befragt wurden (in der Kindheitsforschung etwa ist dies ein anerkanntes<br />

Instrument, Eltern zu befragen, statt die Mädchen und Jungen selbst)? Wurde mit oder über Jugendliche<br />

und junge Erwachsene geforscht? Wurden jugendliche Themen aufgegriffen oder standen Themen im<br />

Zentrum, die hauptsächlich für Erwachsene wichtig und interessant sind? Und wie sind solche Ergebnisse<br />

dann einzuordnen? Oder müsste man sich konsequent auf ganz bestimmte Studien beschränken, die mit<br />

strenger partizipativer Forschungsmethodik vorgegangen sind? Wäre eine eigene Jugendberichtsforschung<br />

sinnvoll, wie sie etwa im rheinland-pfälzischen und im luxemburgischen Jugendbericht als Beteiligungsform<br />

umgesetzt worden ist? Ist das dann die Beteiligung, die wir meinen, oder (nur) „noch mehr Forschung“?<br />

Solche grundlegenden Prämissen und Überlegungen zu partizipativer Forschung sind etwa von Bergold und<br />

Thomas (2012) zusammengetragen und diskutiert worden. Neben der immensen Bedeutung, dem ein sogenannter<br />

„sicherer Raum“ (als communicative space im Sinne von Habermas, vgl. oben) zukommt, in dem partizipative<br />

Forschung überhaupt nur als tatsächlich „partizipativ“ ablaufen kann, ist es vor allem die Frage, wer an<br />

solch einer Forschung eigentlich genau partizipiert, die eine konsequent-kritische Reflexion als Antwort benötigt:<br />

In unserem Fall wäre diese Frage eindeutig zu beantworten (erstmal nur wir) und löste eine der dringendsten<br />

Folgefragen aus: (Wie) Partizipieren die jungen Menschen an einer Forschung, die über eine Sachverständigenkommission<br />

zur Erstellung eines Sachverständigenberichts ausgelöst wird? Eine der konsequenten Regeln<br />

innerhalb des Diskurses um partizipative Forschung lautet, dass es wenig Sinn macht, soziale Gruppen in „partizipatorischen<br />

Stufen“ an der Forschung zu beteiligen, denn: „Entweder sind die Menschen an Entscheidungen<br />

beteiligt und sind damit Forschungspartner/innen oder selbst Forschende, oder es findet keine partizipative Forschung<br />

statt“ (Bergold/Thomas 2012, S. 10). Genau hierin liegen aber die zentrale Herausforderung und der<br />

Kern unseres Beteiligungsdilemmas. Wie wir dieses Problem gelöst haben, wird auf den folgenden Seiten erläutert.<br />

Vorausgeschickt sei, dass man es sicher anders und/oder bestimmt sogar besser hätte lösen können. Aber<br />

vielleicht fordert unsere Lösung künftige Kommissionen geradezu heraus, es anders zu machen. Aus unserer<br />

Sicht wäre damit viel gewonnen.

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