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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 304 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

gien im Internet. Demnach wird das Internet immer mehr auch dazu genutzt, bestimmte Personen oder Personengruppen<br />

herabzusetzen, zu verunglimpfen, auszuschließen oder sogar zur Gewalt gegen diese aufzurufen.<br />

Laut einer Online-Befragung der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen (Forsa/LfM 2016), haben<br />

91 Prozent der 14- bis 24-jährigen jungen Menschen schon einmal Hate Speech bzw. Hasskommentare im Internet<br />

gesehen und jeder zweite aus dieser Gruppe hat sich auch schon mal mit einem Hasskommentar befasst,<br />

vor allem weil diese ihn und sie entsetzten (78 %) oder ein für die Person relevantes Thema behandelt wird<br />

(72 %). 31 Prozent der jungen Menschen bzw. 53 Prozent beschäftigen sich aber auch häufiger mit Hasskommentaren,<br />

weil sie diese unterhaltsam oder interessant finden; über alle Altersstufen verteilt sind es etwas häufiger<br />

Männer (36 %) als Frauen (29 %). 23 Prozent der jungen Menschen haben für Hasskommentare voll und<br />

ganz oder eher Verständnis – auf die Gesamtgruppe gerechnet erneut etwas mehr Männer (21 %) als Frauen<br />

(14 %). Über ein Drittel der 14- bis 24 Jährigen hat den Hasskommentar bzw. den Verfasser oder die Verfasserin<br />

aber auch schon mal bei dem entsprechenden Portal gemeldet und 27 Prozent haben auch einen Hasskommentar<br />

kritisiert. Allein ein Prozent der jungen Menschen gibt an, dass sie einen Hasskommentar geschrieben<br />

haben und zwei Prozent haben auf Hasskommentare geantwortet, um die Verfasser der Kommentare zu unterstützen<br />

(Forsa/LfM 2016).<br />

Deutlich machen die Zahlen und Diskurse über Hate Speech einmal mehr, dass das Internet bzw. die vernetzten<br />

Computer nicht per se egalisieren, sondern sie vielmehr einer „Nutzungs- und Bedeutungsoffenheit“ unterliegen<br />

und ihren Charakter erst im Kontext einer spezifischen Rahmung und im Zuge sozialer Aneignung entfalten<br />

(Höflich 1998). Erforderlich ist ein gelernter und reflektierter Umgang mit den Rahmenbedingungen der digitalen<br />

Kommunikation, zu denen vor allem die Möglichkeit (teil)anonymer Kommunikation, die globale Reichweite,<br />

die rasante virale Verbreitung und Persistenz der Inhalte gehören.<br />

Jugendliche lernen diese Merkmale peu á peu im Rahmen ihrer virtuellen Raumerkundungen kennen; nicht<br />

immer durchschauen sie gleich, was in den Räumen gerade vor sich geht und was zu erwarten ist (ebd.) – darin<br />

liegt sicher auch ein Reiz. Den Umgang mit der digitalen Kommunikation suchen Jugendliche zuvorderst unter<br />

sich, im Kontext der Peers (vgl. Abs. 3.3 und Abs. 4.2). Sie lernen hier alsbald, dass mediale Einschränkungen<br />

bzw. die „medienbedingte Kommunikationsarmut“ (Walther 1992) im Netz kompensiert werden kann, z. B.<br />

durch die Benutzung nonverbaler und paraverbaler Botschaften (z. B. über Emoticons, ASCII-Art, Soundwörter,<br />

Aktionswörter, Großbuchstaben, Akronyme, Emojis). Nichtsdestotrotz scheint es immer wieder auch zu Kommunikationsstörungen<br />

oder Missverständnissen zu kommen, die dann zu Fehleinschätzungen und Konflikten<br />

führen; nicht zuletzt auch dadurch, dass sich der Kreis an Kommunikationspartnern und -partnerinnen beständig<br />

erweitert (vgl. Abs. 4.2.1.4). Hier verlangt es eine Einübung in sozialverträgliches Medienhandeln, die eine<br />

Verständigung über soziale Standards im Miteinander voraussetzt.<br />

Deutlich geworden ist ebenfalls, dass die (teil)anonyme, anfangs vor allem noch textbasierte Netzkommunikation<br />

aufgrund fehlender visueller Kontrolle soziale Hemmungen abbauen kann und einen offeneren Austausch<br />

über persönliche und schambesetzte Themen begünstigt – sich enthemmte Effekte zeigen (Kiesler u. a. 1984).<br />

Dies kann durchaus dienlich sein, sowohl im Kontext einer Kennenlernphase oder Beziehungsanbahnung als<br />

auch in professionellen Online-Beratungskontexten (vgl. Abs. 4.4.3.2). Die enthemmenden Effekte können<br />

allerdings auch dazu führen, dass vorschnell Intimes weitergegeben (z. B. im Rahmen von Sexting) und ggf.<br />

auch missbräuchlich verwendet und weitergeleitet wird. Derartige mögliche Effekte sind frühzeitig mit Jugendlichen<br />

(auch zu ihrem Schutz) zu reflektieren.<br />

Der enthemmende Effekt der digitalen Kommunikation und auch die mögliche Anonymität verleiten offenbar<br />

nicht zuletzt auch immer mehr Menschen dazu, bestimmte Personen oder Personengruppen verbal online zu<br />

attackieren und herabzusetzen, sie zu verunglimpfen oder auch zur Gewalt gegen diese aufzurufen. Soziale<br />

Praktiken wie Cyber-Mobbing, Hate Speech aber auch ideologische Propaganda sind Ausdruck solch neuerlicher<br />

Ausprägungen kommunikativer Diskriminierung und Gewalt, von der Jugendliche sowohl als Opfer und<br />

Täter bzw. Täterinnen betroffen sind. Hier ist eine frühzeitige reflektierte Einführung in soziale und demokratische<br />

Umgangsforen auch in der digitalen Kommunikation notwendig.<br />

Weitere Herausforderungen der digitalen Kommunikation ergeben sich im Rahmen der Alltagskommunikation.<br />

Jugendliche müssen angesichts der Vollausstattung mit Mobiltelefonen und Vollvernetzung über die von ihnen<br />

favorisierten Internetdienste davon ausgehen, dass alle Menschen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis up to<br />

date sind, sich Informationen in Windeseile verbreiten, herumsprechen, damit öffentlich werden und nicht mehr<br />

im Internet löschbar sind. Welche Nachricht welchen Effekt hat, ist nur schwer vorhersehbar. Auch im Hinblick<br />

auf die zugrunde liegende technische Dateninfrastruktur und gegenwärtige Datensammlung und -auswertung

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