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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 219 – Drucksache 18/11050<br />

lie – nicht auf Dauer gestellt sind, sondern jederzeit beendet werden können. Eine solche „Netzwerkkompetenz“,<br />

die nicht nur im face-to-face-Kontakt, sondern auch in der für die meisten Jugendlichen alltäglichen Medienkommunikation<br />

entwickelt wird, kann also nur innerhalb der Peergroup und nicht in der Beziehung zu Eltern<br />

oder Lehrerinnen und Lehrern erworben werden (vgl. Schmidt-Denter 2005). Ausbleibende Peerkontakte<br />

wie auch ein fehlender Zugang zu digitalen Medien verhindern den Aufbau einer solchen Kompetenz und vice<br />

versa. Jugendliche erwerben bereits im Kindesalter (abhängig von den Bindungs- und Erziehungsstilen innerhalb<br />

der Familie) soziale Verhaltensweisen und Fähigkeiten, die den Aufbau und den Erhalt von Beziehungen<br />

zu anderen befördern oder hemmen können (vgl. Traub 2006; Deppe 2015). Dies kann einen nachhaltigen Einfluss<br />

auf die sozialen Beziehungskompetenzen und Verselbstständigungsprozesse der Jugendlichen haben.<br />

Vor allem Jugendliche aus materiell benachteiligten Familien haben es oft bereits im Kindesalter schwer,<br />

Gleichaltrigenkontakte aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Stark ökonomisch deprivierte Kinder und Jugendliche<br />

sind dann auch deutlich seltener in informelle Peergroups integriert und verfügen über keinen oder einen<br />

kleineren Freundeskreis als ihre weniger von Armut betroffene Altersgenossen (vgl. Chassé 2015; World Vision<br />

Deutschland e.V. 2013, S. 173).<br />

Insbesondere die mit der finanziellen Lage verbundene verwehrte Teilhabe an jugendkultureller Konsumkultur<br />

in Form von Markenkleidung oder Kommunikationsmedien, sowie die oft fehlende Einbindung in Vereine oder<br />

andere außerschulische Aktivitäten, werden als wichtige Ursachen fehlender oder belasteter Gleichaltrigenkontakte<br />

betrachtet. Jugendliche sind damit scheinbar nicht „anschlussfähig“ an die individualisierte Jugendkulturszene,<br />

sie erleben gerade über den Aspekt der symbolischen Bedeutung von Konsumgütern Ausgrenzungen.<br />

Insbesondere Kommunikationsmedien sind aber auch zentrale Mittel, um soziale Beziehungen zwischen<br />

Gleichaltrigen aufzubauen und aufrechtzuerhalten und damit eine wichtige Bedingung für die Entwicklung moderner<br />

„Netzwerkkompetenz“. Ein fehlender Zugang zu diesen kann sich insofern auch einschränkend auf jugendliche<br />

Sozialbeziehungen auswirken (vgl. Kap. 4). Ökonomische Deprivation beeinflusst jugendliche<br />

Gleichaltrigenbeziehungen vor allem dann, wenn diese nicht durch elterliche Unterstützungsleistungen, breitere<br />

soziale Netzwerke sowie eine Integration in schulische und außerschulische Aktivitäten flankiert wird (vgl.<br />

Chassé 2015). Kinder und Jugendliche reagieren dann häufig mit sozialem Rückzug als Bewältigungsstrategie,<br />

was zum Teil mit einem hohen Medienkonsum einhergehen kann (vgl. Leven u. a. 2010, S. 100). Mit zunehmendem<br />

Alter erlangen auch Jugendliche aus benachteiligten Familien größere Handlungsspielräume in der<br />

Eigengestaltung ihrer Freizeit. Gleichaltrigenkontakte können dann auch eine kompensatorische Funktion gegenüber<br />

der Familiensozialisation und belasteten Lebenslagen einnehmen, zur Bewältigung dieser beitragen und<br />

den Erwerb spezifischer Kompetenzen allererst ermöglichen (vgl. Chassé u. a. 2003; Butterwegge/Hentges<br />

2009).<br />

Deutlich zeigt sich damit, dass vor allem jüngere Jugendliche in der Gestaltung ihres Alltagslebens und ihrer<br />

Sozialkontakte in starkem Maße auf familiale Ressourcen angewiesen sind. Dies gilt nicht nur in materieller<br />

Hinsicht. Auch soziale und kulturelle Ressourcen der Familie sind ausschlaggebend für ihren Lern- und Erfahrungsspielraum<br />

und damit für die Anschlussfähigkeit an jugendliche Sozialformen und peerkulturelle Alltagspraktiken.<br />

Kontakte zu Gleichaltrigen sind darüber hinaus immer auch an Möglichkeiten der Begegnung und an gemeinsame<br />

Aktivitäten gebunden. Insofern spielt die lokale Platzierung der Jugendlichen eine nicht unwesentliche<br />

Rolle für das Zustandekommen und Aufrechterhalten von Peerbeziehungen. Damit stellen Prozesse der Unterbringung<br />

in Heimen oder betreuten Wohngruppen sowie diskontinuierliche Wohnsituationen, etwa infolge von<br />

Internatsunterbringung, multilokaler Familiensettings aufgrund elterlicher Trennung oder Wohnungswechsel in<br />

unterschiedlichem Maße Herausforderungen für Jugendliche dar, Peerbeziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.<br />

Allerdings ergeben sich hier mit den digitalen Medien auch neue Kontaktmöglichkeiten, um Freundschaften<br />

im Herkunftsort etwa über soziale Netzwerke aufrechterhalten zu können (vgl. auch Kap. 4). Die Forschungslage<br />

hierzu ist jedoch überaus bescheiden. Deutlich wird, dass etwa bei Jugendlichen in Heimen die<br />

Wahrscheinlichkeit, zumindest von diskontinuierlichen Peereinbindungen betroffen zu sein, relativ hoch ist<br />

(vgl. Ridge/Millar 2000), da hier aufgrund wechselnder Unterbringung und der Erfahrung, anders zu sein, der<br />

Beginn und die Aufrechterhaltung von Freundschaften erschwert ist und die Jugendlichen vor allem auf vorhandene<br />

Peers im Heim zurückgeworfen sind (vgl. Siebholz 2015).<br />

Noch problematischer stellt sich die soziale Einbindung von Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien oder von<br />

unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen dar. Die häufige Unterbringung in Hotels, defizitär ausgestatteten<br />

Wohnungen oder Sammelunterkünften, die oft auch in sozialen Brennpunkten gelegen sind, wirkt überaus ein-

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