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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95 – Drucksache 18/11050<br />

ferenziertere Betrachtungen erfolgen auch nach dem Rechts- und Aufenthaltsstatus der Jugendlichen (z. B. Söhn<br />

2008 im Hinblick auf Bildungsbeteiligung). Insgesamt leisten Konstruktionen junger Menschen als „Migrationsandere“<br />

in der Zuschreibung gesellschaftlicher Minderheitenpositionen einen Beitrag zur Legitimation sozialer<br />

Ausschlüsse und institutioneller Praktiken der Selektion und Grenzziehung.<br />

Dies gilt auch für die aktuell besonders relevante Kategorie des „Flüchtlings“, mit der im öffentlichen Diskurs<br />

all jene Menschen bezeichnet werden, die in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragen. Gerade vor dem<br />

Hintergrund massiver rassistischer Übergriffe gegenüber geflüchteten Menschen in Deutschland in der Gegenwart<br />

muss bei Verwendung des Begriffs „Flüchtling“ reflektiert werden, dass die Kategorie neben der notwendigen<br />

Deskription asyl- und aufenthaltsrechtlicher Bedingungen reduzierend und homogenisierend wirkt und<br />

eine Vielzahl von lebensgeschichtlichen Erfahrungen, politischen und sozialen Zusammenhängen in den Herkunftsregionen<br />

der Menschen ausgeblendet bleibt wie die zum Teil ausschließenden und marginalisierenden<br />

sozialen und ökonomischen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Hemmerling 2003; Niedrig/Seuwka<br />

2010, siehe auch Abs. 7.4).<br />

Die empirische Deskription von mit sozialen Differenzlinien verbundenen Benachteiligungen und Teilhaberisiken<br />

ist gesellschaftlich notwendig, um auf strukturelle Ungleichheiten aufmerksam und sie politisch und pädagogisch<br />

bearbeitbar zu machen. Zugleich ist die Konstruktion und Verwendung von Kategorien und die Darstellung<br />

von gruppenspezifischen Teilhaberisiken kritisch zu reflektieren, wenn mit ihnen Prozesse sozialer Abwertung<br />

und gesellschaftlicher Ausgrenzung verbunden sind. Wissenschaftliche Analysen, mediale Darstellungen<br />

und politische Auseinandersetzungen sind mit ihrer öffentlichen Wahrnehmbarkeit und Rezeption Räume der<br />

Konstruktion von spezifischen Gruppen und damit machtvolle Akteure der Reproduktion und Verfestigung von<br />

Marginalisierung und Ausgrenzung.<br />

Auch der vorliegende Jugendbericht stellt an verschiedenen Stellen (v. a. Kap. 2, 3 und 7) strukturelle Benachteiligungen<br />

und Teilhabedefizite einzelner Gruppen dar und konstruiert die betroffenen Jugendlichen damit in<br />

besonderer Weise als Adressatinnen und Adressaten pädagogischer und politischer Interventionen. Dabei nutzt<br />

er statistische Repräsentationen von Differenzkategorien ebenso wie analytische Unterscheidungen von sozialen<br />

Gruppen, die rechtlichen, pädagogischen oder institutionellen Konstruktionsprozessen unterliegen. Zugleich<br />

sind die folgenden Darstellungen jedoch einerseits um eine reflektierte und – wo möglich – differenziertere<br />

Anwendung von Kategorien zur Beschreibung sozialer Differenzen bemüht und beziehen andererseits jugendliche<br />

Positionierungen zu gesellschaftlichen Adressierungen explizit mit ein (v. a. Kap. 3).<br />

1.2.6 Kernherausforderungen des Jugendalters: Qualifizierung, Verselbstständigung,<br />

Selbstpositionierung<br />

In den vielfältigen Bildern über „Jugend“ in unserer Gesellschaft, die vorgestellt wurden, werden die Jugendlichen<br />

immer wieder aufgefordert, ihr persönliches, berufliches und soziales Leben als ein Projekt der biografischen<br />

Selbstoptimierung zu betrachten. Sie sollen darauf vorbereitet werden, ihre Chancen und Optionen in<br />

dieser Gesellschaft gezielt zu nutzen. Häufig wird diese Aufforderung mit allgemeinen Zeitdiagnosen verbunden,<br />

in denen Jugendliche „fit“ für die unübersichtlichen Anforderungen der Multioptions-, Wettbewerbs- und<br />

Wissensgesellschaft gemacht werden sollen. Dabei geraten bestehende sozialstrukturelle Unterschiede im Jugendalter<br />

– wie ausgeführt – ebenso häufig in den Hintergrund wie regionale, rechtliche und institutionelle Bedingungen.<br />

Dagegen stellen diese Bilder einzelne Jugendliche der Gesellschaft als Ganzes – mitunter gar der globalisierten<br />

Welt – gegenüber und tragen an Jugendliche heran, sie könnten hier nur mit einem starken individuellen Lebensprojekt<br />

und vielfältigen Ressourcen bestehen. Skeptisch wird zudem über allgemeine Generationszuschreibungen<br />

– wie die Generation Praktikum, X oder Y, Z etc. – diskutiert, ob die heutigen Jugendlichen angesichts<br />

dieser Anforderungen im Vergleich zu früheren Generationen die „richtigen“ Haltungen mitbringen und sich in<br />

dieser Welt entsprechend behaupten könnten. So wird das Jugendalter insgesamt in einem Spannungsverhältnis<br />

zwischen Generationenkonkurrenzen, Selbstbehauptungen und ungewisser Zukunft verortet. Jugendliche werden<br />

aufgefordert, den diffusen Anforderungen unterschiedlicher Szenarien gerecht zu werden, die durch allgemeine<br />

Zeitdiagnosen über die gesellschaftliche Zukunft einerseits und protektionistische Haltungen zur Beschränkung<br />

ihres persönlichen Lebens andererseits an sie herangetragen werden. Die unterschiedlichen sozialen<br />

Lebenslagen Jugendlicher verschwimmen dabei in einer allgemeinen Angst, die Selbstoptimierung der Jugend-

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