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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 283 – Drucksache 18/11050<br />

leben vom kulturellen Mehrfachbezug ihrer Nutzer, die (mindestens) zwei kulturelle Codes beherrschen, zwischen<br />

ihnen aushandeln und sie ineinander ‚übersetzen‘“ (Androutsopoulos 2005, S. 301). In einer weiteren<br />

Studie über eine Online-Community, die von jungen Erwachsenen mit indischer Migrationsgeschichte gegründet<br />

wurde, wurde ebenfalls herausgearbeitet, dass diese der „zweiten Generation“ zu Repräsentationszwecken<br />

als auch als Ort der Identifikation und zum „(Aus-)Leben der ‚ethnischen‘ Identität“ dient (Goel 2010, S. 169,<br />

Hervorhebungen der Autorin). Der Zusammenhang zwischen „prekärer Zugehörigkeit“ und Anerkennungssuche,<br />

so zeigen die verschiedenen Studien, ist auch im Online-Kontext relevant – und wirkt freilich wiederum in<br />

die Offline-Welt zurück.<br />

4.2.2.2 Gaming-Communities als Medium globaler Vergemeinschaftung<br />

Eine weitere Form grenzüberschreitender Vergemeinschaftung wird in Gaming-Communities praktiziert. Games<br />

bzw. digitale Spiele stellen für immer mehr Jugendliche eine selbstverständliche Freizeitbeschäftigung dar:<br />

Fast 50 Prozent der Jugendlichen besitzen heute eine eigene Spielkonsole (Medienpädagogischer Forschungsverbund<br />

Südwest 2015, S. 7). Diese Werte sind seit 2009 relativ konstant (Medienpädagogischer Forschungsverbund<br />

Südwest 2013, S. 18). Sieben von zehn Jugendlichen spielen täglich oder mehrmals pro Woche, nur<br />

neun Prozent sagen von sich, dass sie nie digitale Spiele spielen. Jungen präsentieren sich insgesamt Spielaffiner:<br />

85 Prozent spielen regelmäßig; im Vergleich dazu spielt jedes zweite Mädchen mindestens mehrmals<br />

pro Woche digitale Spiele (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015, S. 57). 35 Prozent der<br />

Jungen unterhalten sich auch täglich/mehrmals pro Woche in Multi-User-Spielen, bei den Mädchen sind es<br />

fünf Prozent (ebd., S. 32).<br />

Erklärt wurde die Faszination der digitalen Spiele anfangs damit, dass die Spielenden sich in einen „Flow“-<br />

Zustand bringen können (Csikszentmihalyi 1993; Fritz 1995), sie also in das Spiel eintauchen und mit ihrer<br />

Spieltätigkeit eins werden; auch erhalten sie darüber Zugang zu virtuellen Räumen, lernen sich (spielerisch) in<br />

den Räumen zu bewegen, erfahren sich dort als selbstwirksam und machtvoll – und interagieren immer auch<br />

sozial und kollaborativ (Fritz 2003, 2010; Hepp/Vogelgesang 2008). Deutlich wurde damit insgesamt, dass<br />

digitales Spielen bzw. Online-Communities für die Identitätsarbeit Jugendlicher hoch bedeutsam sind. Jugendliche<br />

suchen den Anschluss und Austausch, organisieren sich in Clans, messen sich im Wettbewerb und bewegen<br />

sich dabei zunehmend im englischsprachigen und internationalen Kontext. Sie nutzen das Spiel, um sich zu<br />

positionieren, ihren Handlungsspielraum zu erweitern und insbesondere, um sich einer neuen Gemeinschaft<br />

zugehörig fühlen zu können.<br />

Seit den 1990er Jahren ist es nun möglich, in kleinen lokalen Netzwerken gemeinsam zu spielen, womit der<br />

Grundstein für die ersten LAN-Partys gelegt wurde. Ab Mitte der 1990er konnten Spielende erstmals in einem<br />

Multi-Player-Modus über das Internet miteinander spielen. In den aktuellen MMORPG (Massively Multiplayer<br />

Online Role-Playing Games) interagieren und kommunizieren heute mehrere tausend Spielende in persistenten<br />

virtuellen Welten. Die Spielenden organisieren sich in Clans, Gilden oder in Teams, verständigen sich mit Hilfe<br />

von Voicesoftware über Headsets, trainieren gemeinsam, entwickeln arbeitsteilig Taktiken, lernen sich zu koordinieren<br />

und beteiligen sich an Ligen und Turnieren (Hahne 2006). Das Bild des einsamen Nutzers oder der<br />

einsamen Nutzerin lässt sich also auch in der Gaming-Szene nicht aufrechterhalten, vielmehr werden beim digitalen<br />

Spielen nicht nur bestehende Kontakte intensiviert, sondern auch neue Freundschaften geknüpft (Götzenbrucker<br />

2001; Reinecke/Trepte 2009; Wimmer u. a. 2008; Ratan u. a. 2010; Festl u. a. 2012).<br />

Inzwischen hat sich das Englische zur dominierenden Sprache entwickelt und im Zuge dessen lässt sich die<br />

deutsche von der internationalen Szene auch nur noch schwer trennen. Viele von Spielenden selbst erstellte<br />

Hilfeseiten mit Walk-Throughs oder Guides sind auf Englisch. Es drängt sich zudem der Eindruck auf, dass<br />

deutschsprachige Websites oder Veranstaltungen von Spielenden auch nicht in gleicher Weise wahrgenommen<br />

und genutzt werden wie englischsprachige. Dies gilt nicht nur für LAN-Partys, sondern auch für stark frequentierte<br />

Foren. Auffällig ist weiterhin, dass in der Gaming-Szene kaum Schlüsselwörter und – im Vergleich zu<br />

Büchern und Filmen – auch kaum Spieltitel übersetzt werden. Auch werden viele Wörter und Phrasen direkt<br />

von der Szene übernommen, so z. B. guide, walkthrough, rape, let’s play, tag, shooter etc.<br />

Die deutschen Spielenden konzentrieren sich offenbar stärker auf Web-Plattformen im internationalen Raum,<br />

die sie zur Vernetzung und zum Wissensaustausch nutzen. Nahezu alle größeren Organisationen haben neben

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