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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 433 – Drucksache 18/11050<br />

Jugendpolitik – wie die Kinder- und Jugendhilfe – aus ihrer gesetzlichen Verantwortung für die Übergangsbegleitung<br />

und regionale Infrastrukturgestaltung vielfach zurückgezogen, was sich z. B. am gegenwärtigen Angebotsspektrum<br />

der Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) zeigt“ (ebd., S. 11).<br />

Mit dem Rückzug der Jugendsozialarbeit wird aber auch die Frage immer dringlicher, welche Möglichkeiten<br />

Jugendliche (noch) haben, deren biografische Verläufe sich bereits weitgehend entkoppelt von den institutionalisierten<br />

„Normal“-Qualifizierungsverläufen gestalten (vgl. Gurr u. a. 2016). Im europäischen Kontext wird seit<br />

einigen Jahren auf diese Gruppe von jungen Männern und Frauen mit einem sogenannten NEET-Status verwiesen<br />

(vgl. Fritz/Balati 2015). Es werden dazu diejenigen jungen Menschen zwischen 14 und 25 Jahren gezählt,<br />

die „not in education, employment or training“ sind, also sich weder in pädagogischen Maßnahmen, noch in<br />

Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnissen befinden. In Europa ist diesbezüglich der Anteil junger Frauen<br />

höher als der von jungen Männern, wobei hierzu für Deutschland keine belastbaren Zahlen vorliegen.<br />

So resümieren Dittrich und Wlassow: „In Deutschland ist die Diskussion um junge Menschen mit NEET-Status<br />

weniger stark als auf europäischer Ebene. Auf diese Gruppe wird lediglich im Kontext des internationalen Vergleichs<br />

von Bildungsbeteiligung im Bildungsbericht (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, S. 39)<br />

eingegangen, und dann vor allem auf frühzeitige Schulabgänger_innen. Es wird darauf verwiesen, dass diese<br />

Gruppe potenziell ein höheres Risiko im Übergang auf den Arbeitsmarkt hat. 2012 hat Deutschland das EU-<br />

Ziel, den Anteil an frühzeitigen Schulabgänger_innen auf höchstens 10 % zu reduzieren, mit 10,6 % knapp<br />

verfehlt. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Es wird weiter darauf verwiesen,<br />

dass gerade Menschen mit Migrationshintergrund eine potenzielle Risikogruppe darstellen, da in dieser Gruppe<br />

der Anteil an Personen, die frühzeitig die Schule verlassen, bei 17 % liegt, im Vergleich sind es bei Personen<br />

ohne Migrationshintergrund lediglich 8 % (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, S. 39)“ (Dittrich/Wlassov<br />

2016, S. 17).<br />

Darüber hinaus kann darauf verwiesen werden, dass Qualifizierungswege keineswegs linear verlaufen, sondern<br />

vor allem bei Jugendlichen, die von sozialer Benachteiligung betroffen sind, eine entsprechende Förderung auch<br />

nach vorgängigen fehlenden Erfolgserlebnissen zu erfolgreichen Schulkarrieren im Jugendalter und auch noch<br />

im jungen Erwachsenalter führen kann. „Jugend ermöglichen“ kann sich entsprechend in diesem Kontext nicht<br />

nur darauf beschränken, Qualifizierungsbrücken anzubieten, um Schulabschlüsse nachzuholen und berufliche<br />

Qualifikationen anzubahnen. Die Verselbstständigungs- und Selbstpositionierungserwartungen an junge Menschen<br />

und von ihnen selbst erfordern umfassendere und auch niedrigschwellige(re) Konzepte. Aus einer jugendpolitischen<br />

Perspektive kann noch hinzugefügt werden, dass nur selten in den letzten Jahren reflektiert<br />

wurde, wie durch die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Jugend und ihre sozialen Rechte und Teilhabeformen mit<br />

hergestellt werden. Auch der aktuelle Referentenentwurf zu einem Bundesteilhabegesetz lässt keine jugendpolitische<br />

Position erkennen, ob er grundlegend das junge Erwachsenenalter mitgestalten will bzw. kann.<br />

In diesem Zusammenhang muss auch problematisiert werden, dass eine politische Bildung im Übergangssystem<br />

oder in den entsprechenden sozialen Diensten kaum mehr systematisch zu finden ist (vgl. Waldmann u. a.<br />

2015). Hervorzuheben ist dagegen, dass in den Dokumenten und Projekten der europäischen Sozialpolitik immerhin<br />

auf die enge Verbindung von „employability“ und „citizenship“ hingewiesen wird (vgl. Europäische<br />

Kommission 1999). Dies deutet darauf hin, dass die Übergänge in Arbeit immer auch politische Beteiligungsmöglichkeiten<br />

gestalten sollten. Hier wird zumindest in der politischen Rhetorik und einzelnen Projektlinien<br />

betont, dass die Stärkung von Beschäftigungsfähigkeit auch die Frage beinhalte, wie Partizipation ermöglicht<br />

wird. Es ist damit wenigstens die Frage angelegt, wie die Wahrnehmung von Rechten und die politische Teilhabe<br />

in den Strukturen der Übergänge in Arbeit organisiert sind. Allerdings ist angesichts der gegenwärtigen Krise<br />

auf dem europäischen Arbeitsmarkt für junge Menschen aktuell nur noch wenig von „citizenship“ und Bürgerbeteiligung<br />

wahrzunehmen.<br />

Bisher konturiert sich das jugendpolitische Profil der arbeitsmarktbezogenen sozialen Dienste in Deutschland<br />

vor allem darüber, dass junge Menschen unter 25 Jahren stärker sanktioniert werden können als ältere Leistungsempfangende<br />

und dass in den überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen weniger Mitbestimmungsrechte<br />

für junge Menschen als in Unternehmen und Betrieben gelten. Hier gilt es grundlegende Korrekturen vorzunehmen.<br />

Entsprechend reicht es nicht aus, allein zu fragen, wie diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

überhaupt durch die sozialen Dienste und Bildungseinrichtungen erreicht werden und Zugang zu den entsprechenden<br />

Qualifizierungsprozessen finden können.<br />

Es greift zu kurz, die Diskussion um Übergänge im Jugendalter nur auf das sogenannte Übergangssystem und<br />

darin aufscheinende „Passungsprobleme“ zu beschränken. So stehen die sozialen Dienste vor der Herausforde-

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