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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 414 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

gement getragene Formate der Kinder- und Jugendarbeit oder auch die Vielzahl an kleineren Projekten, Initiativgruppen<br />

und andere im Stadtteil oder in ländlichen Regionen vorhandene Formen, stehen vor einer anderen<br />

Situation als etwa Jugendzentren oder große Trägerverbünde. Dort, wo Jugendliche selbst, z. B. in Jugendverbänden,<br />

vor allem Angebote für Gleichaltrige organisieren und auch ehrenamtlich Verantwortung übernehmen,<br />

sind diese in der Regel weder zeitlich noch von ihren Interessen und Bedürfnissen her in der Lage, weitergehende<br />

dauerhafte Aufgaben und systematische bildungs- und sozialpolitische Verantwortung zu übernehmen. Insoweit<br />

spricht vieles dafür, dass es dazu neuer, eigener und verlässlicher Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit<br />

bedarf.<br />

Schließlich ist viertens bei allen Potenzialen der Kooperation zu fragen, ob Kinder- und Jugendarbeit mit ihrem<br />

variantenreichen Engagement an und um Schule für Jugendliche auch neue „Freiräume“ im schulischen Kontext<br />

eröffnet oder ob dadurch bisherige „Freiräume“ eher verschlossen werden. Diese Frage zielt auf die Debatte,<br />

inwieweit Kinder- und Jugendarbeit in der Freizeit von Jugendlichen bewusst für sich auf einen Freiraum außerhalb<br />

von Schule insistieren muss. Die Stärke der Kinder- und Jugendarbeit lag jedenfalls stets auch darin,<br />

jenseits von Familie und Schule „etwas Eigenes“ anzubieten, das Jugendliche und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt<br />

rückt und bei der sie historisch immer wieder neue Formen gefunden hat, dieses auszugestalten. Diese<br />

Orte, in denen auch um Akzeptanz und Neugier der Jugendlichen gerungen werden muss, braucht es möglicherweise<br />

auch in Zukunft zur eigenen Selbstvergewisserung und Erneuerung, um daraus dann „Eigenes“ in die<br />

Kooperation einzubringen.<br />

6.6.3 Kinder- und Jugendarbeit als Lernort zwischen informellen Lernprozessen und Zertifizierungserwartungen<br />

Auch mit einiger zeitlicher Distanz erweist sich das Jahr 2001, das Jahr der Veröffentlichung der Studie PISA<br />

2000 (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001), nicht nur für die bundesdeutsche Bildungsdiskussion und<br />

-politik, sondern auch für die Kinder- und Jugendarbeit als eine Zäsur im Selbstverständnis. Auch wenn zuvor<br />

schon in den internen Debatten immer wieder Kinder- und Jugendarbeit als Lern- und Bildungsort thematisiert<br />

wurde, so waren es vor allem die auf die aufgeregte PISA-Diskussion antwortenden Beiträge, die darauf hinwiesen,<br />

dass „Bildung mehr (sei) als Schule“ (Bundesjugendkuratorium u. a. 2002). 104 , die den Auftakt für die bis<br />

heute andauernden Verständigungen um Kinder- und Jugendarbeit als Bildungsort bildeten. Selbstbewusst wurde<br />

damals für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe, also auch für die Kinder- und Jugendarbeit, formuliert:<br />

„Angebote und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe bieten einen spezifischen Erfahrungs-, Erlebnis- und Erkenntnisraum<br />

und dienen der allgemeinen Förderung junger Menschen. Mit je eigenen Zielsetzungen und vielfältigen<br />

Inhalten, Methoden und Arbeitsweisen wird in der Kinder- und Jugendhilfe ein breites Bildungsangebot<br />

eröffnet, das in enger Wechselwirkung zu Familie, Schule und beruflicher Bildung steht. Die direkten oder indirekten,<br />

bewusst geplanten oder impliziten Bildungspotenziale müssen in den Angeboten und Diensten sichtbar<br />

gemacht und weiterentwickelt werden. Vor allem in der Differenz zu der Formalisierung schulischer Angebote<br />

liegt das spezifische Profil und die Chance der Kinder- und Jugendhilfe, junge Menschen zu erreichen und anzuregen“<br />

(Bundesjugendkuratorium u. a. 2002, S. 12; vgl. auch Otto/Rauschenbach 2004a). Im Zwölften <strong>Kinderund</strong><br />

Jugendbericht der Bundesregierung schließlich wurde wiederholt auf die besondere Bedeutung informeller<br />

und lebensweltbezogener Bildungsprozesse und auf ihre zentrale Bedingung für eine gelingende soziale Integration<br />

hingewiesen (vgl. Deutscher Bundestag 2005).<br />

Die Kinder- und Jugendarbeit übernahm diese generelle Perspektive auf die eigene Praxis nur zu gerne – entsprach<br />

sie doch zu weiten Teilen ihrem eigenen Selbstverständnis als ein Bildungsort bzw. als wichtiger Teil<br />

lokaler Bildungslandschaften (vgl. z. B. zur Bestärkung: Thole 2013). Allerdings zeigte sich schnell, dass es<br />

nicht ausreicht, sich selbst als Bildungsort bzw. als Moment von lokalen Bildungslandschaften zu verstehen und<br />

es zu sein. Es bedurfte – auch darauf hatten die oben zitierten sogenannten Leipziger Thesen bereits aufmerksam<br />

gemacht – der Sichtbarmachung der Bildungspotenziale bzw. Bildungsleistungen. Dabei handelte es sich keineswegs<br />

um eine allgemeine, abstrakte Erwartung. Eingefordert wurde die Sichtbarmachung vielmehr nahezu<br />

gleichzeitig sehr konkret erstens vonseiten nicht weniger Vertreterinnen und Vertreter des Praxisfeldes selbst,<br />

104<br />

Wie wenig selbstverständlich diese Position war, wird deutlich, wenn man in dem 10 Jahr zuvor erschienenen Handbuch Jugendverbände<br />

blättert. Jugendverbände werden dort an keiner Stelle als Bildungsorte thematisiert. Stattdessen wird ihnen ein Wandel von der Sozialisationsagentur<br />

zum Lebensraum (Reichwein/Freund 1991) beschieden und ihre Bedeutung für Sozialisation und Erziehung hervorgehoben<br />

(Gängler 1991).

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