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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 422 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit bieten, ihre Interessen einzubringen und öffentlich<br />

sichtbar zu machen.<br />

6.6.5 Das Ringen der Kinder- und Jugendarbeit um Freiräume<br />

In Kapitel 1 wurde bereits auf das Ringen um „Freiräume“, gerade auch von Jugendlichen und im Kontext von<br />

Kinder- und Jugendarbeit und Jugendpolitik, eingegangen. Die Formel „Freiräume für junge Menschen“ hat<br />

Konjunktur in jugend- und bildungspolitischen Stellungnahmen, Artikeln und Aktionen, wie sich nicht zuletzt<br />

auch im Berichtsauftrag für den 15. Kinder- und Jugendbericht zeigt. Es wurde aber auch darauf hingewiesen,<br />

dass „Freiräume“ keine objektiv bestimmbaren Räume sind, die jenseits von Zwängen, Verpflichtungen und<br />

Ordnungen existieren, sondern Räume darstellen, die subjektiv wahrgenommene, wenn man so will: relative<br />

Freiheiten und Autonomie ermöglichen und die durch die zeitweise mögliche Distanzierung von Zwängen, die<br />

sich aus den vielfältigen Prozessen der Verdichtung und Beschleunigung des Alltags ergeben, gekennzeichnet<br />

sind (vgl. zur Paradoxie des Freiheitsbegriffes Kurz 2013; vgl. auch Abs. 1.3.4.2). Freiraum kann also als Differenzbegriff<br />

verstanden werden: er bezeichnet, je nach Ausgangspunkt und Perspektive, Ab- und Anwesenheiten<br />

von Zwang und Freiheit, von gesetztem Zweck und Unbestimmtheit, von Pflichten und Autonomien.<br />

Der gesellschaftliche Kontext ist für die Bestimmung von Freiräumen und das Ringen um Freiräume entscheidend:<br />

als Freiraum wird gesehen, was relative Freiheit von Strukturierung und Definition ermöglicht. Die häufig<br />

anzutreffende Gegenüberstellung von Freiraum und Verzweckung (z. B. DBJR 2015) macht deutlich: dort wo<br />

Aktivitäten, Räume oder Zeit nicht unter dem Gesichtspunkt (externer) Verwertbarkeit und einer Zweckrationalität<br />

gesehen, strukturiert, ausgerichtet und bewertet, sondern ihr Sinn aus Perspektive des/der Handelnden<br />

selbst bestimmt, verändert und entwickelt werden kann, „ist“ (subjektiv empfundener) Freiraum.<br />

Zwar sind die Orte der Kinder- und Jugendarbeit möglicherweise der „‚freieste‘ Bereich“ (Sturzenhecker/Richter<br />

2013, S. 699) der gesamten Institutionen des Aufwachsens, das allein macht die Kinder- und Jugendarbeit<br />

aber nicht per se zu einem Freiraum. Zugleich ist dieses Moment, das für schulische Räume, insbesondere im<br />

Kontext der Entwicklung einer pädagogisch erweiterten Ganztagsschule, erst noch mühsam erreicht und erarbeitet<br />

werden muss (vgl. Abs. 5.3.5), auch für die Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Formats- und Angebotsvielfalt<br />

immer wieder gefährdet (vgl. Sturzenhecker/Richter 2013, S. 699) und eine beständige Herausforderung: Diese<br />

besteht darin, Jugendlichen Handlungs-, Erfahrungs- und Entscheidungsräume zur Verfügung zu stellen, die<br />

möglichst weitgehend eigene Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Der Anspruch dabei ist, dass diese durch ein<br />

hohes Maß an Autonomie, die durch das Fehlen von Lernanforderungen, die von Erwachsenen gesetzt werden,<br />

und durch die Distanz gegenüber Einwirkungen von außen bzw. durch Dritte sowie durch Abwesenheit erwachsener<br />

Kontrollpersonen gekennzeichnet sind. Nicht selten gerät das Ringen um solche Freiräume in Kollision<br />

mit anderen Vorstellungen über das, was die Kinder- und Jugendarbeit jeweils leisten soll – auch, weil mitunter<br />

die Vorstellungen darüber, was die Freiräume jeweils ausmacht, zwischen Trägern, Fachkräften und jungen<br />

Menschen differieren und nicht immer in Deckung gebracht werden können. Die Diskussionen in den unterschiedlichen<br />

Feldern der Kinder- und Jugendarbeit um Freiräume zeigen die pädagogischen und politischen<br />

Ambivalenzen und Dilemmata, die damit für die Kinder- und Jugendarbeit verbunden sind. Sie sind aber auch<br />

Zeichen dafür, dass die Ermöglichung von Freiräumen ein zentrales Ziel ist (vgl. Abs. 8.1.4).<br />

Als konkrete Beispiele, wie die Kinder- und Jugendarbeit das Ringen um Freiräume praktisch angeht, können<br />

Angebote bezeichnet werden, für die ein Ortswechsel konstitutiv ist und für die Ortswechsel Distanzierungsmöglichkeiten<br />

von den üblichen Verpflichtungen und eigene Gestaltungsspielräume mit sich bringen. Dies ist<br />

z. B. auf Freizeiten der Fall, soweit diese nicht von Beginn an durch Erwachsene und feststehende Programmelemente<br />

durchstrukturiert sind. Freizeiten als „Jugendarbeit mit Ortswechsel“ (Groschwitz 2014) finden sich –<br />

wenn auch in unterschiedlichen Formaten und mit unterschiedlichem Stellenwert – in nahezu allen Feldern der<br />

Kinder- und Jugendarbeit; im Bereich der Kinder- und Jugendverbände (Seckinger u. a. 2009; Landesjugendring<br />

NRW 2010) dienen sie oftmals als Einstieg in die sonstigen regelmäßigen Angebote. Besonders die Ferienlager<br />

der Jugendverbände werden häufig durch zumeist junge Ehrenamtliche vorbereitet und durchgeführt. Da die<br />

Jugendlichen selbst vorher an Ferienlagern teilgenommen haben, sind sie mit den Abläufen und dem „Spirit“<br />

der Freizeit sehr gut vertraut. Gemeinsam ist vielen Freizeiten, soweit sie als Freiräume innerhalb der <strong>Kinderund</strong><br />

Jugendarbeit konzipiert sind und begriffen werden, dass der Einfluss der jugendlichen Akteure gegenüber<br />

der Gestaltung des Angebots vergleichsweise groß ist, sodass die Teilnehmenden für die Durchführung und das<br />

Gelingen der Freizeit selbst (mit-)verantwortlich sind. Jugendliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer können auf

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