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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 257 – Drucksache 18/11050<br />

Auch in Bezug auf die Teilhabechancen an außerschulischen Freizeitangeboten werden Peripherisierungsprozesse<br />

als problematisch diskutiert. Dabei wird auf ein Ausdünnen von Angebotsstrukturen, eine Dominanz<br />

Erwachsener in Vereinen sowie stark männlich dominierte Inhalte hingewiesen (vgl. Schubarth/Speck 2009).<br />

Die Studie von Becker und Moser (2013), in der ca. 2.500 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren aus unterschiedlichen<br />

ländlichen Regionen zu ihrer Lebenssituation in Schule und Freizeit sowie ihren Zukunftsvorstellungen<br />

befragt worden sind, verweist zumindest darauf, dass Jugendliche in stark schrumpfenden ländlichen<br />

Regionen häufiger in Vereinen aktiv sind als diejenigen in wirtschaftlich stabilen wachsenden ländlichen Regionen,<br />

dass aber Letztere oft mehrfach und in unterschiedliche Vereine eingebunden sind. Jugendlichen in<br />

schrumpfenden ländlichen Regionen eröffnet sich damit scheinbar eine weniger breite Angebotspalette, worauf<br />

auch die hohe Einbindung in Sportvereine in diesen Regionen verweist (71 % zu 48 % in wachsenden ländlichen<br />

Regionen), während Musikvereine hier nur zu ca. zehn Prozent – im Gegensatz zu 35 Prozent in wachsenden<br />

ländlichen Regionen – von den Jugendlichen angewählt werden (können) (ebd., S. 41f.).<br />

Diese Hinweise auf die eingeschränkten Optionen Jugendlicher in schrumpfenden ländlichen Regionen, an Vereinsaktivitäten<br />

teilzunehmen in der Zusammenschau mit den ohnehin geringen Möglichkeiten für Peerkontakte,<br />

eröffnet gleichzeitig die (empirisch offene) Frage, nach dem Verhältnis von Interessenorientierung und dem<br />

Bedürfnis Jugendlicher nach Vergemeinschaftung in der Vereinseinbindung. Eine Selbstpositionierung entlang<br />

der eigenen Interessen könnte damit vor allem für jüngere, auf das nähere Wohnumfeld und dessen Angebotsstruktur<br />

angewiesene, Jugendliche schwierig sein, wenngleich die verfügbaren Angebote auch als Möglichkeitsräume<br />

verstanden werden können, innerhalb derer Interessen allererst geweckt werden.<br />

Jugendkultur und Vergemeinschaftung<br />

Die demografischen Entwicklungen und Abwanderungsbewegungen führen nicht nur zu einer Abnahme des<br />

Anteils Jugendlicher an der Bevölkerung in schrumpfenden ländlichen Regionen, sondern lassen sie auch zunehmend<br />

zu einer marginalisierten Gruppe im Vergleich zur erwachsenen Bevölkerung werden. Diskutiert werden<br />

in diesem Zusammenhang vor allem Marginalisierungstendenzen, durch die die Belange und Interessen von<br />

Jugendlichen weniger sichtbar und wahrgenommen werden und Planungsfragen häufig auf die Anforderungen<br />

der Erwachsenen und alternden Bevölkerung zugeschnitten sind (vgl. Schubarth/Speck 2009; Egger/Pösch<br />

2016). Verbunden mit der Dominanz der Erwachsenen erscheinen auch die Handlungsspielräume eingeschränkter,<br />

sodass Jugendliche weniger Gelegenheitsstrukturen zur Herstellung eigener Räume finden und jugendliche<br />

Raumaneignung häufig mit einer Anpassung an die Erwachsenenkultur verbunden ist (vgl. Grunert/Deinert<br />

2010; vgl. Abs. 3.3). Böhnisch und Funk (1989) haben – wie erwähnt – dieses Phänomen bereits Ende der<br />

1980er-Jahre diskutiert und darauf verwiesen, dass es in diesen Praktiken weniger um eine Anpassung ginge,<br />

sondern um eine Demonstration von Selbstständigkeit durch die Jugendlichen. Selbstständigkeit wird auch in<br />

der Eroberung und Aneignung eigener jugendspezifischer Räume demonstriert, die sich zum einen in selbstverwalteten<br />

Jugendclubs zeigt und zum anderen auch in der Aneignung informeller Treffpunkte, die jedoch nicht<br />

nur in ländlichen Regionen immer auch von der Erwachsenenwelt wieder in Frage gestellt werden können (vgl.<br />

Abs. 3.3; Leßmeister 2008; Grunert/Deinert 2010). Solche Verdrängungserfahrungen aus dem nicht-institutionalisierten<br />

öffentlichen Raum scheinen zu unterschiedlichen Handlungsstrategien zu führen, die vom Rückzug<br />

in Privaträume oder an Orte, an denen kaum Öffentlichkeit erwartbar ist (z. B. abgelegene Weiher,<br />

Waldstücke) bis hin zum Ausweichen auf nahegelegene urbane Gebiete reichen (vgl. Weidmann 2008).<br />

Konformitätsdruck und soziale Kontrolle sind zudem immer wieder Diskussionspunkte, wenn es um die Lebensbedingungen<br />

und Handlungsspielräume von Jugendlichen in ländlichen Regionen geht. Mit der voranschreitenden<br />

Ausdünnung und der zunehmend disproportionalen Verteilung von Jugendlichen und Erwachsenen<br />

verschärft sich dies jedoch weiter und hat Einfluss auch auf jugendkulturelle Möglichkeitsräume: „wenn es vor<br />

Ort nur eine jugendkulturell geprägte Gruppe gibt und diese dann alternativlos erscheint, [stehen] Jugendliche<br />

vor der Wahl, sich entweder dieser Gruppe anzuschließen oder keinen Kontakt zu gleichaltrigen Jugendlichen<br />

vor Ort zu haben“ (Siebert 2006, S. 200). Jugendkulturelle Anschlussmöglichkeiten sind dann ebenso wie institutionelle<br />

Angebotsstrukturen weniger vielfältig und die Ausbildung jugendkultureller Orientierungen kann<br />

dann, ebenso wie etwa vereinsbezogene Interessen, von regionalen Zufälligkeiten abhängig sein.<br />

In kritischer Perspektive kommt hier vor allem die Integration in rechtsextreme Jugendgruppen in den Blick.<br />

Auch wenn Rechtsextremismus kein exklusives Problem ländlicher strukturschwacher Regionen ist (vgl.<br />

Helsper u. a. 2006), sind fehlende jugendkulturelle Wahlmöglichkeiten dennoch ein möglicher Einflussfaktor.<br />

So verweist Heitmeyer (2014) darauf, dass in abwanderungsgeprägten ländlichen Regionen Ostdeutschlands

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